<1>

Justus van Egmont [1], auch Joost genannt, hatte im holländischen Leiden das Licht der Welt erblickt, wo seine Eltern am 22. September 1601 geheiratet hatten.  [2] Nach dem Tod seines Vaters, des Zimmermanns Dirk Joostzone van Egmont, kehrte dessen Witwe, Constantia Lenaerts, mit der Familie in ihren Geburtsort zurück. Dort, in Antwerpen, wurde der damals vierzehnjährige Justus bei dem Historienmaler Jaspar van den Hoecke in die Lehre gegeben. Er blieb dort für die üblichen drei Jahre. Im Herbst des Jahres 1618 machte er sein Testament, vermutlich in Vorbereitung einer mehrjährigen Italienreise.  [3] Zu Beginn der 1620er Jahre trat er in das Atelier des Malers Peter Paul Rubens ein, als dessen Mitarbeiter er in diverse Aufträge eingebunden war.  [4] Unter anderem ist dokumentiert, dass Egmont sich in Paris aufhielt, um die Installation des Medici-Zyklus im Palais du Luxembourg zu überwachen.  [5] Der Rubens-Werkstatt blieb er bis 1628 verbunden.  [6] In diesem Jahr wurde er als Meister in die Antwerpener Lukasgilde aufgenommen.  [7] Noch im gleichen Jahr zog er aber nach Paris, wo er Mitglied der flämischen Bruderschaft von Saint-Germain-de-Prés wurde, einer Malergilde, deren Vorstand er 1633 übernahm. Im Auftrag Simon Vouets entwarf Egmont in dieser Zeit Vorlagen für Tapisserien. Vouet und Philippe de Champaigne hatten den prestigeträchtigen Auftrag erhalten, in der Pariser Residenz Richelieus eine Galérie des Hommes illustres zu gestalten, ein Großunternehmen, zu dem auch Justus van Egmont und Charles Poërson einen Beitrag leisteten. Sie trugen zu der 1727 zerstörten Ausgestaltung insgesamt 175 kleine Bilder bei, von denen sich neun in Nantes erhalten haben (Abb. 1).  [8]

1 Justus van Egmont: Suger wird Abt von Saint Denis, um 1633,
Öl auf Holz, 55,2 x 50,8 cm,
Musée des Beaux-Arts, Nantes, Inv.nr. 989.2.1.P; 8918

<2>

Ausdruck der zunehmenden Anerkennung, die Justus van Egmont damals in Frankreich genoss, war die Tatsache, dass er zum ›peintre du roi‹ ernannt und mit königlichen Aufträgen bedacht wurde. So führte er zum Beispiel für die Orléans die Dekorationen auf Schloss Balleroy aus.  [9] Er war aber nicht nur als Hofmaler für Ludwig XIII. und später für Ludwig XIV. tätig, sondern auch – besonders in Kreisen des Pariser Adels – ein gefragter Porträtist.  [10] Tatkräftig trug er zur Mehrung seines Ruhmes bei, indem er Stiche nach seinen Gemälden anfertigen ließ und vertrieb.  [11] Daneben fand er noch Zeit für die Erfüllung weiterer Aufträge und fertigte beispielsweise das von Wolf Dietrich Reding bestellte Altarbild für die Kirche im schweizerischen Brunnen.  [12] Am 1. Februar 1648, als in Paris die Académie de Peinture et Sculpture gegründet wurde, gehörte der unter den »douze anciens« erwähnte Egmont zu den Gründungsmitgliedern. Im Januar des folgenden Jahres hielt Egmont sich in Brüssel auf, wo er Erzherzog Leopold Wilhelm porträtierte.  [13] Nach Paris zurückgekehrt schenkte er der Akademie sein Bildnis des Gaston d’Orléans.  [14] Zwei Jahre später, 1651, findet sich sein Name auf dem Bündnisvertrag zwischen der Akademie und der konkurrierenden Pariser Lukasgilde.

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Allen Erfolgen in Frankreich zum Trotz ging Justus van Egmont 1653 zurück in die Niederlande. Er ließ sich mit seiner Familie in Antwerpen nieder, arbeitete aber auch verschiedentlich in Brüssel. Im März des Jahres 1656 kaufte er ein Haus in der im Zentrum Antwerpens gelegenen Arenbergstraet. Wenige Jahre später, im Mai 1662, erwarb er ein prächtiges Anwesen in der Lange Nieuwstraat, das zuvor dem Maler Jan Wildens gehört hatte. Den in Antwerpen gepflegten Idealen höfischen Lebens gemäß präsentierte Egmont hier eine reiche Kunstsammlung, zu der auch Gemälde von Hans Holbein d. J., von italienischen Meistern, aber auch von berühmten Vertretern der lokalen Maltradition zählten, zum Beispiel von Rubens, Van Dyck oder Jan Boeckhorst.  [15]

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In Antwerpen war Egmont weiterhin als Porträtist tätig, doch war er auch auf einem anderen Gebiet erfolgreich.  [16] Nachdem er bereits 1658 drei Patronen für den Maréchal Daumont angefertigt hatte, wurden Entwürfe für große Teppichserien zu seiner Spezialität. So ist für den 12. April 1661 die Bestellung einer Teppich-Serie mit der »Historie van Caesar Augustus« dokumentiert. Noch im gleichen Jahr entstanden auch die Entwürfe zu einer Serie mit der Geschichte von Marc Anton und Kleopatra, die in Brüssel bei Jan van Leefdael und Geraert van Streken gewirkt wurde.  [17] Um das Jahr 1665 entstanden auch die Entwürfe für eine acht Teppiche umfassende Serie mit der Geschichte des Aurelius und der Königin Zenobia, die 1676 von dem Brüsseler Tapissier Gerard Peemans zum zweiten Mal ediert wurde.  [18] Zwei Jahre zuvor, 1674, war Justus van Egmont mit großem Aufwand in der Antwerpener St. Jakobskerk beigesetzt worden, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Grab seines Lehrers Peter Paul Rubens.

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Aus dem Kontext der Vorbereitung zu der von Peemans gewebten Serie mit der Geschichte des Aurelius und der Königin Zenobia sind zwei Zeichnungen erhalten, die einen lebhaften Eindruck vom Zeichenstil van Egmonts vermitteln.  [19] Das eine Blatt zeigt die Königin Zenobia unter den Soldaten, das andere die Hochzeit von Zenobia und Odenatus (Abb. 2).

2 Justus van Egmont: Die Hochzeit von Zenobia und Odenatus, um 1665,
schwarze Kreide, Pinsel in brauner Tusche, laviert, 18,1 x 31,8 cm,
The Art Institute of Chicago, Illinois,
Leonora Hall Gurley Memorial Collection, Inv.nr. 1922.1918b

Für seine Darstellung der Geschichte der Königin Zenobia stützte Justus van Egmont sich nicht unmittelbar auf die antiken Quellen, sondern auf eine romantische Schilderung, die Jean Tristan de Saint-Aman 1644 in seinen Commentaires historiques contenant l’histoire générale des empereurs, impératrices, césars et tyrans de l’empire Romain gegeben hatte. Wie schon in der spätantiken Historia Augusta berichtet wird, war die Araberin Zenobia die zweite Frau des Exarchen und römischen Konsulars von Palmyra, Septimius Odaenathus. Mit kaiserlicher Duldung und im Auftrag Roms hatte Odaenathus als »Aufrichter des ganzen Ostens« (»corrector totius Orientis«) seit 260 seine Herrschaft über Syrien, Mesopotamien und Kilikien ausgeweitet. Nachdem er 267 in Emesa, dem heute syrischen Homs, einem Attentat zum Opfer gefallen war, übernahm Zenobia die Macht über den Ostteil des römischen Reiches. Sie wurde zeitweise sogar als Mitkaiserin anerkannt, bis Kaiser Aurelian die Einheit des Reiches wieder herstellte, indem er Zenobia besiegte und gefangen nahm. Das Thema war in Kreisen des europäischen Adels, zumal im Medium der Tapisserie, ausgesprochen beliebt. So fertigte die Brüsseler Manufaktur von Hans Mattens Anfang des 17. Jahrhunderts eine Zenobia-Folge, die 1666 anlässlich der Hochzeit von Kaiser Leopold I. nach Wien verkauft wurde. Ein weiterer Zenobia-Zyklus entstand in der Antwerpener Werkstatt der Brüder Wauters und auch die französischen Manufakturen von Aubusson und Felletin fertigten Tapisserien mit Zenobia-Motiven. Besonders bekannt und beliebt scheint aber die von Justus van Egmont entworfene Folge gewesen zu sein, denn der Zyklus aus dem Brüsseler Atelier von Gerard Peemans findet sich in Madrid, in der Kathedrale von Segovia, in Lissabon, in Brüssel, aber auch in den Residenzen von München und Würzburg sowie im Palazzo dei Mansi in San Pellegrino.  [20]

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In der frühen, in Kreide ausgeführten Vorzeichnung der Hochzeitsszene (Abb. 2) hat van Egmont die Grundzüge der Komposition in schnellen Strichen festgehalten. Die Tatsache, dass die Brautleute einander die linken Hände reichen, lässt sich als Hinweis darauf lesen, dass van Egmont schon in diesem frühen Entwurfsstadium die im Herstellungsprozess der Tapisserie begründet liegende spätere Seitenverkehrung in Rechnung zog. Dafür scheint über das Format der einzelnen Teppiche noch keine endgültige Gewissheit bestanden zu haben, denn die im breiten Querformat ausgeführte Szene wurde später in ein annähernd quadratisches Format überführt. Das Blatt verrät unmittelbar den geübten Zeichner, denn mit wenigen sicher gesetzten Strichen sind die Figuren in ihren Proportionen und Haltungsmotiven stimmig charakterisiert. Auffällig ist auch die sorgsam ausgewogene Lichtregie, durch die der flirrende Zeichenduktus und die dynamische Bewegung der Figuren zu einer räumlich geschlossenen Szene mit deutlich betonten Hauptfiguren zusammenkomponiert werden.

<7>

Die Vorstellung vom Zeichenstil des Justus van Egmont war über lange Zeit auch von einem sehr weitgehend durchgearbeiteten Blatt mitbestimmt, das, mit dem vollen Namenszug des Künstlers versehen, möglicherweise als Entwurf für ein Buchtitelblatt intendiert war (Abb. 3).

3 Justus van Egmont: Fama krönt einen siegreichen General, nach 1655,
Feder in grauschwarzer Tusche, grau laviert, weiß gehöht, 31,3 x 21,2 cm,
Yale University Art Gallery, New Haven, Connecticut,
Library Transfer, Inv.nr. 1961.63.41

Ausgehend von dem unten links angebrachten Namenszug »Iust. Verus V. Eggmont« ließen sich zwei dieser Zeichnung vergleichbare Blätter, die augenscheinlich die gleiche Komposition zeigen, ebenfalls Justus van Egmont zuweisen. Die eine befand sich unter den anonymen niederländischen Zeichnungen des Victoria and Albert Museums in London, die andere, die auf dem Untersatzkarton als Arbeit des Justus van Egmont ausgewiesen war, befand sich in einer amerikanischen Privatsammlung (Abb. 4).  [21] Alle drei Blätter zeigen die gleiche Szenerie. Die auf einem mit Festons geschmückten Piedestal thronende Personifikation des Ruhmes, Fama, krönt einen bislang nicht identifizierten Mann in Rüstung mit einem Lorbeerkranz. Er wird von Herkules und Fortitudo begleitet, Personifikationen der Kraft und Stärke, und der Fama von Minerva und Justitia anempfohlen, die Weisheit und Gerechtigkeit verkörpern.

4 Justus van Egmont: Fama krönt einen siegreichen General, nach 1655,
schwarze Kreide, weiß gehöht, 31,2 x 21,0 cm,
Yale University Art Gallery, New Haven, Connecticut,
Gift of Anne-Marie Logan, Inv.nr. 1997.45.1

Bei dem heute in der Yale University Art Gallery befindlichen Blatt handelt es sich vermutlich um eine erste zeichnerische Durchführung der Bildidee (Abb. 4), die dann in eine als Stechervorlage intendierte Reinzeichnung überführt wurde (Abb. 3). Die mit flüchtigen, teils mehrfach dieselbe Kontur zeigenden schwarzen Kreidestrichen ausgeführte Skizze wird durch die zur Vereinheitlichung der Komposition eingesetzte Weißhöhung kompositorisch zusammengehalten. In der so skizzenhaft anmutenden Zeichnung begegnet die gleiche Sicherheit in der Charakterisierung der dargestellten Figuren und Gegenstände wie auf der Zenobia-Zeichnung (Abb. 2). Die von alter Hand auf dem Blatt angebrachte Zuschreibung an van Egmont wird durch diesen visuellen Befund eindringlich bestätigt. Da vermutlich kein französischer Offizier dargestellt ist und zudem der zeichnerische Duktus in seiner Prägnanz noch einmal gesteigert scheint, wird diese Zeichnung überzeugend in die Zeit nach der Rückkehr van Egmonts nach Antwerpen datiert.  [22]

<8>

Diesem Blatt lässt sich eine heute in Stuttgart bewahrte Zeichnung anschließen, die lange Zeit als Arbeit des Jan Boeckhorst galt (Abb. 5).  [23] Ihre Provenienz lässt sich bis in die Zeit um 1900 zurückverfolgen. Damals befand sie sich in der Sammlung der Brüder Verschraeghen in Gent. Von dort gelangte sie in den Besitz des Kunsthistorikers und Sammlers Julius S. Held nach Old Bennington, USA.

5 Justus van Egmont: Das Urteil des Brutus, nach 1655,
schwarze Kreide auf blauem Papier, weiß gehöht, 32 x 30,3 cm,
Staatsgalerie, Stuttgart, Inv.nr. C 1986/3487

Sowohl die traditionelle Zuschreibung an Jan Boeckhorst als auch die Identifizierung der Szene als »Martyrium eines Heiligen« erscheinen fragwürdig. Wie Maria Galen gezeigt hat, findet die nervöse, flirrende Zeichentechnik mit ihren mehrfachen Strichelungen und den vielfachen Korrekturen keine Entsprechung in Boeckhorsts Œuvre.  [24] Gegen die Identifizierung des Themas als Martyriumsszene spricht das Fehlen des für einen christlichen Kontext obligaten ikonographischen Beiwerks wie etwa herannahender Putten mit Palmzweigen. Gezeigt ist die Enthauptung zweier Männer, deren einer bereits ermordet am Boden liegt, während der andere gebeugten Hauptes den tödlichen Schlag des Scharfrichters erwartet. Die antikische Kleidung des Bildpersonals, vor allem aber die hoch aufragenden Feldzeichen verweisen auf ein Ereignis aus der römischen Geschichte.

<9>

Es ist eine Episode aus dem Leben des römischen Konsuls Lucius Junius Brutus, die von verschiedenen antiken Autoren berichtet wird, am detailliertesten von Titus Livius und Valerius Maximus.  [25] Lucius Junius Brutus hatte den tyrannischen König Tarquinius Superbus aus Rom vertrieben und die Republik begründet, nachdem die vom Sohn dieses Königs geschändete Lucretia Selbstmord verübt hatte. Deren Ehemann, Lucius Tarquinius Collatius, und Lucius Junius Brutus waren daraufhin vom Volk zu Konsuln gewählt worden. Die abgesetzten Tarquinier versuchten in der Folge, unterstützt vom etruskischen König Porsenna und von Teilen des römischen Patriziats, wieder an die Macht zu gelangen und die alte Ordnung wieder herzustellen. Die Verschwörung, an der sich auch die beiden Söhne des Konsuls Brutus beteiligten, wurde aufgedeckt und vereitelt. Brutus ließ die Verschwörer aburteilen und seine eigenen Söhne öffentlich enthaupten. In dieser hier knapp wiedergegebenen und von Justus van Egmont effektvoll ins Bild gesetzten Geschichte (Abb. 5) sind zahlreiche ethische und staatspolitische Motive angelegt, die in der abendländischen Literatur von Vergil über Petrarca und Machiavelli bis zu Voltaire zahlreiche Ausdeutungen und eine reiche literarische Rezeption finden sollten.  [26] Im antiken Rom wurde Brutus als »Befreier des Vaterlands« gefeiert und als Tugendheld verehrt, weil er, so Valerius Maximus, »seine Rolle als Vater ablegte, um als Konsul zu handeln. Lieber wollte er kinderlos leben, als sich seiner Aufgabe als staatlicher Strafrichter zu entziehen.«  [27] Schon seit der Antike waren auch Vorbehalte gegen das grausame Urteil laut geworden. Vergil zum Beispiel bezichtigte Brutus – bei aller Vaterlandsliebe – auch »maßloser Ruhmgier«, und Augustinus kritisierte – aus christlicher Sicht – das Brutus-Urteil als Untat.  [28] Dennoch blieb die Geschichte, zumal in Rom, wo man auf dem Kapitol ein authentisches Bildnis des Brutus bewahrt glaubte, als Tugendexempel lebendig.  [29]

<10>

Nach dem Umbau des Konservatorenpalastes durch Michelangelo und der Erneuerung seiner Ausmalung durch Tommaso Laureti und Giuseppe Cesari in den Jahren 1587 bis 1594 prangte eine monumentale Darstellung der Enthauptungsszene wandfüllend in der von Laureti ausgemalten »Sala dei Capitani«.  [30] In dem als »achtes Weltwunder« gefeierten Neubau des Amsterdamer Rathauses wurde dieses Vorbild aufgegriffen. In einem umfassenden architektonischen und bildlichen Gesamtprogramm wurde dort die Bedeutung der Rechtsprechung als vornehmste Aufgabe der Regierung illustriert.  [31] Im Saal des »Blutgerichts«, der »Vierschaar«, war hinter der Richterbank ein von Artus Quellinus d. Ä. gestaltetes Marmorrelief mit dem Brutus-Urteil angebracht, das in den Niederlanden reiche Nachfolge fand.  [32] Auch aus Frankreich sind verschiedentlich allegorische Gerechtigkeitsbilder und Darstellungen des Brutus-Urteils als Ausstattung von Regierungssitzen und Parlamentsgebäuden bezeugt. Im privaten Kontext oder als Gegenstand von kleineren Gemälden oder Galeriebildern war das Thema augenscheinlich nicht sonderlich gefragt.  [33] Als Thema einer Tapisserie, gegebenenfalls innerhalb einer ganzen Folge von Gerechtigkeitsbildern oder Szenen aus der römischen Geschichte, ist die Szene allerdings durchaus denkbar. So mag es sich bei dem in flirrenden Strichen hingeworfenen und effektvoll weiß gehöhten Blatt um eine erste Skizze für eine wohl unausgeführt gebliebene Teppichfolge handeln.  [34]

<11>

Weniger einfach ist die Identifizierung der drei Szenen auf der Rückseite, die jeweils bis zur Unkenntlichkeit beschnitten sind. Links oben, auf dem Kopf stehend, deutet sich eine Parklandschaft mit einem Springbrunnen an, die an einen Bühnenprospekt erinnert. Darunter, in umgekehrter Seitenrichtung, ist eine stehende Figur angedeutet. Rechts daneben geht der Blick auf eine vielfigurige Szene, in der kompositorisch eine gewisse Nähe zu dem Gemälde mit der Geschichte von Abt Suger (Abb. 1) spürbar wird.

6 Justus van Egmont: Verso zu Abb. 5,
schwarze Kreide auf blauem Papier, weiß gehöht, 32 x 30,3 cm
Staatsgalerie, Stuttgart, Inv.-Nr. C 1986/3487

Auch wenn sich die gezeigten Szenen nicht identifizieren lassen, liefern sie doch den Hinweis darauf, dass die Darstellung des Brutus-Urteils schon früh als Hauptszene erkannt wurde und dieses Blatt einem größeren Zusammenhang entstammt, vielleicht einem Skizzen- oder Studienbuch. Zugleich erweist auch und gerade die zeichnerische Qualität dieser flüchtigen Skizzen, dass hier ein zu Unrecht verkannter Künstler am Werk war. Vielleicht lässt sich über diese bislang nicht identifizierten Szenen auch die Zuschreibung des Blattes an Justus van Egmont weiter befestigen und die Einordnung in ein bemerkenswertes Œuvre weiter konkretisieren, das fraglos eine weitergehende Beschäftigung lohnt.  [35]

 



[1] Für ihre Bereitschaft, die Thesen dieses Beitrages und die Zuschreibung des Blattes mit mir zu diskutieren, für vielfältige Unterstützung und die kritische Lektüre dieses Textes danke ich Maria Galen, Hans-Martin Kaulbach, Anne-Marie Logan und Priscilla Valkeneers, der ich auch für ihre Literaturhinweise zu besonderem Dank verpflichtet bin. Für die gewohnt gründliche Redaktion sei Andrea Lermer ausdrücklich gedankt.

[2] F. J. Van den Branden: Geschiedenis der Antwerpsche Schilderschool, Antwerpen 1883, S. 766, gibt den 22. September 1601 als Geburtsdatum an. Priscilla Valkeneers wies mich auf die urkundlich dokumentierte Eheschließung hin:
URL: http://www.leidenarchief.nl/component/option,com_wrapper/Itemid,8/ (31.03.1010). Da die Niederkunft wohl nicht am Tag der Hochzeit stattgefunden haben wird, bleibt das Geburtsdatum ungewiss.

[3] Van den Branden 1883 (wie Anm. 2), S. 766f. Zu dem Brauch, vor dem Aufbruch nach Italien sein Testament zu machen, vgl. Nils Büttner: »Quid Siculas sequeris per mille pericula terras?«: Ein Beitrag zur Biographie Pieter Bruegels d. Ä. und zur Kulturgeschichte der niederländischen Italienreise, in: Marburger Jahrbuch 27, 2000, S. 209-242, als digitaler Volltext unter der URL: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2010/1012/ (31.03.2010).

[4] Jean F. M. Michel: Histoire de la vie de P. P. Rubens, Chevalier, & Seigneur de Steen: illustrée d’Anecdotes, qui n’ont jamais paru au Public, & de ses Tableaux étalés dans les Palais, Eglises & Places publiques de l’Europe, Brüssel 1771, S. 146, berichtet von einem Mechelner Auftrag, der auf der Basis einer Skizze von Rubens komplett durch Justus van Egmont ausgeführt wurde. Van den Branden 1883 (wie Anm. 2), S. 511f., schreibt dazu: »Er wird uitdrukkelijk verklaard, dat het schilderij geenszins aan den leerling, maar wel aan den Meester was besteld. Hij moest ze dus zelf komen malen. Rubens gaf tot antwoord, det hij, om aan al de bestellingen te kunnen voldoen, gewoon was slechts de schets te maken. Naar deze doodverfden en ontwikkelden zijne leerlingen de groote taferelen, aan welke hij zelf door de laatste penseelstreken hunnen vollen luister kwam bijsetten.« Vgl. dazu auch Nils Büttner: Herr P. P. Rubens. Von der Kunst, berühmt zu werden, Göttingen 2006 (Rekonstruktion der Künste, Bd. 7), S. 208, Anm. 58.

[5] Vgl. den Brief von Rubens an Valavez vom 3. Juli 1625: »Me maraviglio che Justo tardi tanto che certo il suo indugio mi par eccessivo il quale passa de venti giorni la mia partenza pur il sigr Frarin mi scrisse il 19 di giugno, che l’argentaria era pronta et che la pagarebbe il giorno seguente.« Max Rooses u. Charles Ruelens (Hg.): Correspondance de Rubens et documents épistolaires concernant sa vie et ses œuvres. Codex diplomaticus Rubenianus, 6 Bde., Antwerpen 1887-1909, Bd. 3, Nr. CCCLXXIX, S. 372f.

[6] Verschiedentlich findet er dokumentarische Erwähnung: 1626 erhielt er aus dem Nachlass von Isabella Brant 34 Gulden, am 19. August 1628 unterzeichnete er als Zeuge eine Erklärung von Rubens zugunsten von Déodat del Monte. Vgl. Van den Branden 1883 (wie Anm. 2), S. 503; Rooses u. Ruelens 1887-1909 (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 439.

[7] Philippe-Felix Rombouts u. Theodoor van Lerius: De Liggeren en andere historische archieven der Antwerpsche Sint Lucasgilde, Bd. 1, Antwerpen 1864, S. 516, 520, 650, 658.

[8] Richelieu: l’art et le pouvoir, Ausst.kat. Musée des Beaux-Arts, Montréal, u. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, hg. v. Hilliard Todd Goldfarb, Marc Fumaroli, Ekkehard Mai, Orest Ranum u.a., Montréal 2002, S. 84 u. 389, Nr. 7, Farbabb. S. 84. Die Zuschreibung des Bildes mit Abt Suger wird von Arnauld Brejon de Lavergnée in seiner Rezension der Ausstellung (The Burlington Magazine 145, 2003, S. 389-391, hier: S. 390, Nr. 8) bezweifelt, der das Bild wenig überzeugend Charles Poërson zuschreibt.

[9] Jacques Wilhelm: Le décor peint de la grand’ [sic] salle du château de Balleroy, in: Bulletin de la Société Historique de l'Art français, 1985, S. 61-82.

[10] Jacques Wilhelm: Portraits peints à Paris, in: Bulletin de la Société Historique de l'Art français, 1987, S. 25-44.

[11] Ein Beispiel dafür sind die Stiche, die Jeremias Falck 1643 nach Egmonts Porträts der Königsfamilie anfertigte. Vgl. hierzu und zu den im Folgenden genannten Details der Biographie zusammenfassend Gudrun Raatschen: Egmont, Justus van, in: Saur Allgemeines Künstlerlexikon, begründet u. mitherausgegeben v. Günter Meißner, Bd. 32, München u.a. 2002, S. 380-382.

[12] Georg Carlen: Ein erstaunliches kirchen- und staatspolitisches Gemälde: Die Ekklesia des Justus van Egmont in der Dorfkapelle Brunnen, in: Markus Riek u. Markus Bamert: Meisterwerke im Kanton Schwyz, Bd. 2, Bern 2006, S. 64-67. Hinweis von Priscilla Valkeneers.

[13] Öl auf Leinwand, 150 x 121 cm. Kunsthistorisches Museum, Wien, Inv.nr. GG 802. URL: http://bilddatenbank.khm.at/viewArtefact?id=662 (31.03.2010).

[14] Rombouts u. van Lerius 1864 (wie Anm. 7), S. 516.

[15] Einen Eindruck von Art und Umfang der Sammlung vermittelt das Nachlassinventar von »Emerentiana Bosschaert, weduwe van Justus Verus ab Egmont«. Vgl. Erik Duverger: Antwerpse kunstinventarissen uit de zeventiende eeuw, Bd. 11 (1680-1689), Brüssel 2001 (Fontes historiae artis Neerlandicae, 1/11), S. 315f.

[16] Egmont war auch in dieser Zeit weiter als Porträtist tätig, so entstand beispielsweise 1663 sein Gruppenbildnis der Kinder Alexander, Jan Cornelis und Maria Aldegonde Goubau (Belgien, Privatbesitz). 1673 beteiligte Egmont sich mit zwei Bildnissen des Ehepaars Perceval und deren Sohns an der ersten Ausstellung der Akademie in Paris. Zu den ausländischen Malern im Kontext der Pariser Akademie und deren Auseinandersetzungen mit der Malergilde vgl. Gerrit Walczak: Die Académie de Saint-Luc 1649 bis 1776. Eine Kunstakademie der Malerzunft von Paris (im Druck).

[17] Van den Branden 1883 (wie Anm. 2), S. 770. Einen Hinweis auf Egmont als Entwerfer von Tapisserien gibt schon André Félibien: Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes, Bd. 3, Trevoux 1725, S. 400.

[18] Vgl. Tapisseries Bruxelloises au siècle de Rubens, Ausst.kat. Kunsthistorisches Museum, Wien, u. Musées Royaux d’Art et d’Histoire, Brüssel, hg. v. Rotraud Bauer u. Guy Delmarcel, Brüssel 1977, Nrn. 38-41, mit Abb. und Literatur.

[19] Vgl. dazu Flemish Drawings in the Age of Rubens: Selected Works from American Collections, Ausst.kat. Davis Museum and Cultural Center, Wellesley (Mass.), u. Cleveland Museum of Art, hg. v. Anne-Marie S. Logan, Seattle 1993, Nr. 20, S. 156f.

[20] Vgl. Dora Heinz: Europäische Tapisseriekunst des 17. und 18. Jahrhunderts, Wien 1995, S. 18 (Mattens), 36, 58f. (Peemans), 74 (Wauters), 163 (Varzy); vgl. auch Udo Hartmann: Das palmyrenische Teilreich, Stuttgart 2001, S. 473. Zu der in Brüssel bewahrten Edition der Zenobia-Teppiche vgl. auch Tapisseries Bruxelloises au siècle de Rubens 1977 (wie Anm. 18), Nr. 38-41. Auf die Serie im Palazzo dei Mansi in San Pellegrino wies mich Priscilla Valkeneers hin. Vgl. dazu: Giacinta Cambini: Gli arazzi fiamminghi di Palazzo Mansi: Storia di un acquisto imprudente, in: Lucca città d’arte e i suoi archivi: opere d'arte e testimonianze documentarie dal Medioevo al Novecento, hg. v. Max Seidel u. Romano Silva, Venedig 2001, S. 333-388.

[21] Vgl. Flemish Drawings in the Age of Rubens 1993 (wie Anm. 19), S. 155f., Nrn. 18 u. 19. Vgl. auch URL: http://ecatalogue.art.yale.edu/results.htm?rf=0&rpp=25&sb=objectNumber&sd=0&pn=1&dp=&cl=&ar=Justus%20van%20%20Egmont&ti=&me=&cu=&by=&byr=0&ey=&eyr=0&ge=&an=&lv=1&la=2&ls=0 (31.03.2010).

[22] Flemish Drawings in the Age of Rubens 1993 (wie Anm. 19), S. 156.

[23] Aufschrift auf der Unterlage rechts mit Feder in Schwarz von alter Hand: »J. Boeckhorst dit Langenhans«. Hinweis auf die Provenienz geben auch zwei kleine bislang nicht identifizierte Sammlungsstempel. Vgl. Hans-Martin Kaulbach: Erwerbungsbericht, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 24, 1987, S. 183 (als Boeckhorst); A Great Heritage: Renaissance & Baroque Drawings from Chatsworth, Ausst.kat. National Gallery of Art, Washington, u. The Pierpont Morgan Library, New York, hg. v. Michael Jaffé, New York 1995, unter Nr. 87 mit Abb. (als Boeckhorst); Michael Jaffé: The Devonshire Collection of Northern European Drawings. Bd. 2: Flemish Artists. The Duke of Devonshire Collection, Chatsworth, Turin, London u. Venedig 2002, S. 168f., unter Nr. 1158 (als Boeckhorst); Nils Büttner: Justus van Egmont, in: »… nur Papier, und doch die ganze Welt…«. 200 Jahre Graphische Sammlung, Ausst.kat. Staatsgalerie Stuttgart, 2010 (im Druck).

[24] Maria Galen: Johann Boeckhorst: Gemälde und Zeichnungen, Diss. Münster 2010 (Typoskript), S. 287f., Katalog der unsicheren und zurückgewiesenen Zeichnungen, Nr. 24.

[25] Livius, Ab urbe condita 2, 4; Valerius Maximus 5, 8. Vgl. auch Dionysios von Halikarnassos, Urgeschichte der Römer 5, 8; Plutarch, Publicola 6.

[26] Vgl. dazu Emidio Campi: Brutus Tigurinus. Aspekte des politischen und theologischen Denkens des jungen Bullinger, in: Geschichten und ihre Geschichte, hg. v. Therese Fuhrer u.a., Basel 2004, S. 145-174.

[27] Valerius Maximus 5, 8, 1: »Exuit patrem, ut consulem ageret, orbusque vivere quam publicae vindictae deesse maluit.«

[28] Vergil, Aeneis 6, 819-823; Augustinus, De civitate Dei, 3, 16; 5, 18.

[29] Erst Winckelmann brachte Zweifel an der vermeintlichen Authentizität des Bildnisses in Umlauf. Vgl. Francis Haskell u. Nicholas Penny: Taste and the Antique: The Lure of Classical Sculpture 1500-1900, New Haven 1981, S. 168f.

[30] Zu dieser Ausmalung und der breiten Rezeption des Brutus-Motivs in der Bildenden Kunst vgl. Hubertus Günther: Das Urteil des Brutus: Vom Paradigma der Gerechtigkeit zur aufrührenden Tragödie, in: Geschichten und ihre Geschichte, hg. v. Therese Fuhrer u.a., Basel 2004, S. 89-144, bes. S. 105f.

[31] Koen Ottenheim: Philips Vingboons (1607-1678), Architect, Zutphen 1989, S. 111-127.

[32] Vgl. dazu Günther 2004 (wie Anm. 30), S. 107f.

[33] Günther 2004 (wie Anm. 30), S. 112.

[34] Hier können vielleicht die Forschungen von Koenraad Brosens weiteren Aufschluss bringen, der eine umfassende Datenbank zur südniederländischen Teppichkunst und zum Handel mit Tapisserien vorbereitet.

[35] Das erweisen auch die Forschungen von Priscilla Valkeneers, die an der Universität Brüssel bei Professor Arnout Balis an einer Dissertation über Justus van Egmont arbeitet.

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Empfohlene Zitierweise

Büttner N.: Eine neu entdeckte Zeichnung von Justus van Egmont. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2010-8 (urn:nbn:de:0009-23-25161).  

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