Die nachfolgenden Bemerkungen sollen keine Rezension des Aufsatzes von Anastasia Dittmann sein, sondern sind Überlegungen und Fragen, die durch die Lektüre angeregt wurden.

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Dittmann fasst zusammen, wie die Officia der Rhetorik auf die Kunsttheorie, hier speziell auf die Skulptur, übertragen wurden. Dabei konzentriert sie sich auf Roger de Piles (1635-1709), der quasi als Verbindung zwischen Rubens´ Traktat De imitatione statuarum (um 1610) und Joshua Reynolds’ zehntem Diskurs über die Skulptur (1780) fungiert. Im Zusammenhang mit der Nachahmung antiker Skulpturen in der Malerei darf Andrea Mantegna (1431-1506) nicht fehlen, denn ihm wurde vorgeworfen, sich zu wenig vom steinernen Vorbild zu lösen. Diese Kritik formulierte z.B. der Lütticher Maler und Antiquar Lambert Lombard (1506-1566). Dass Rubens Mantegna genau studierte, ist bekannt; Dittmann fasst einige der Reprisen Rubens’ noch einmal zusammen.

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Lombards Kritik war Rubens bekannt. Dittmann untersucht, inwieweit sie in seinen Traktat eingeflossen ist, und in welchen Punkten Rubens darüber hinausgeht.  [1] Entsprechend behandelt Dittmann auch Reynolds´ zehnten Diskurs: Was nahm er von de Piles bzw. Rubens auf, und wo verschob er die Akzente.

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Im Weiteren demonstriert Dittmann die Arbeitsweise Rubens’ und die Reynolds’, um sie mit den jeweiligen theoretischen Äußerungen zu vergleichen. Beide setzen im Sinne der inventio antike Bildwerke, über Zeichnungen vermittelt, in Gemälde um. Beide Künstler zeichneten vor Originalen. Hier hätte interessiert, inwieweit sich bei Reynolds auswirkt, dass er als junger Künstler nach Italien ging, der noch nicht unbedingt Roger de Piles und damit indirekt auch Rubens gelesen hatte. Es ist auffallend, dass Rubens zwar die Skulpturen zeichnerisch durchstudiert (Dittmann bildet dazu in Abb. 5 Studien zum Herkules Farnese ab), aber schon in weiteren Zeichnungen die Skulpturen in Fleisch und Blut verwandelt, während Reynolds deutlich Steinbildwerke abzeichnet und sie ohne weitere Zeichnungen im Werkprozess erst in den Gemälden ›verlebendigt‹. Auch hat Reynolds während seines Italienaufenthalts vergleichsweise wenige Antiken gezeichnet, was wohl nicht nur mit seiner Vorliebe für venezianische Malerei zu erklären ist.

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Dittmann bezeichnet Rubens’ Traktat als ›Lehrschrift‹. Wer aber war Adressat, für wen schrieb Rubens? Was war seine Intention? Wer sollte Rubens’ Auffassungen zur Antikenrezeption wahrnehmen? Rubens annoncierte sich selber als Gelehrter, schrieb er sein Traktat doch auf Latein – doch er ließ es nicht drucken. Damit war sein Leserkreis eingeschränkt; es war offenbar nicht in erster Linie für Malerkollegen und wohl erst recht nicht für seine Studiogehilfen gedacht. Wer aber las Rubens’ lateinischen Traktat tatsächlich – war es der von ihm gewünschte Personenkreis oder ein anderer? Erst nach seinem Tod übersetzte Roger de Piles 1708 die Abhandlung ins Französische, publizierte gleichzeitig die lateinische Originalfassung und machte sie damit breit zugänglich: nicht nur für Kenner und Sammler, sondern auch für Maler, wenn sie denn kein Latein beherrschten.

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Joshua Reynolds hingegen hielt seine Discourses on Art zunächst nur für Studierende und Kollegen der Royal Academy. Den ersten drei Akademiereden ist diese Praxisnähe stark anzumerken. Die weiteren, darunter der von Dittmann behandelte, haben einen anderen Anspruch, denn die Discourses on Art wurden rasch gedruckt und europaweit verbreitet. Reynolds ging es darum, die klassische Kunsttheorie noch einmal zusammenzufassen und zu demonstrieren, dass die Qualität der Kunst in England der des Kontinents endlich gleichkam.

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Inwieweit diese unterschiedlichen Situationen Art und Umfang der Aufnahme antiker Rhetorikprinzipien und auch die Rezeption antiker Werke beeinflusst haben, ist eine Frage, der noch nachzugehen wäre.

Zur Autorin

Renate Prochno studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Erziehungswissenschaften in Münster, London und München, Promotion über Joshua Reynolds 1987 (Kunsttheorie und Gemälde); danach Getty fellow in Baltimore. 1988-1996 wiss. Angestellte bzw. Assistentin in München, gleichzeitig Lehraufträge in Bamberg. 1996 Habilitation zu burgundischer Kunst um 1400, danach Vertretungen in München und Hamburg, visiting fellow in Melbourne. Seit März 2000 Professur in Salzburg. Publikationen zur englischen Kunst und Kunsttheorie, zur Kunst des Mittelalters, zu Konkurrenz und Kreativität sowie zum Geldwert von Kunst.

Postadresse: Renate Prochno, Paris Lodron-Universität, Fachbereich Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft, Abteilung Kunstgeschichte, Kapitelgasse 5-7, A-5020 Salzburg

Email: Renate.Prochno@sbg.ac.at



[1] Nur am Rande sei folgendes vermerkt: Es wäre wünschenswert, wenn übersetzte Zitate und enge Paraphrasen im Fließtext als solche kenntlich gemacht würden. Sie sollten auch in den Anmerkungen durchgängig belegt werden, möglichst mit dem Originaltext. So stolpert man über Wendungen wie z.B. »gymnastische Zucht und Ordnung«, »die die Skulpturen der Alten« hervorgebracht haben (Absatz 14); oder man liest von »nützlichen Statuen« (Absatz 15). Hier wäre Rubens’ Originaltext hilfreich. – Mitunter stören missverständliche Übersetzungen, wenn z.B. die »Eloquenz [gemeint ist das Kolorit der Gemälde Rubens’; R.P.], die alles vor sich niederdrückt« (Absatz 21), »über einen höheren Zugewinn an Weisheit triumphierend«, Beifall erhält (Absatz 21). Das Original von Reynolds, zitiert in Anm. 22, lautet: »[...] but it resembles eloquence, which bears down everything before it, and often triumphs over superior wisdom and learning.« (Joshua Reynolds: A Journey to Flanders and Holland, hg. v. Harry Mount, Cambridge 1996, S. 18). – Es verwundert, dass für diesen Aufsatz zentrale Quellen manchmal aus zweiter Hand anstelle des Originals zitiert wurden (z.B. Lampsonius in Abs. 13, belegt in Anm. 14 nach Justus Müller Hofstede: Rubens und die niederländische Italienfahrt. Die humanistische Tradition, in: Peter Paul Rubens 1577-1640, Ausst.kat. Köln 1977, Bd. 1, S. 21-37, hier S. 25). Lampsonius wird nochmals in Anm. 15 wörtlich zitiert, hier aber nach: Lambert Lombard. Peintre de la Renaissance, Ausst.kat. Lüttich, Brüssel 2006, S. 54. Eine Literaturangabe für die Originalausgabe des Rubens-Traktats fehlt in den Anmerkungen. Zwar ist die französische Übersetzung von de Piles in Anm. 4 genannt, doch fehlt der Hinweis auf seine Erstpublikation des lateinischen Originals (Roger De Piles: Cours de peinture par principes, Paris 1708, Reprint Genf 1969, S. 139-147: De imitatione statuarum).

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Prochno R.: Bemerkungen zu Anastasia Dittmann: »Imitation is the means, not the end, of art« - Peter Paul Rubens und Sir Joshua Reynolds über die Grammatik antiker Skulptur (Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion 2009-35). In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-51 (urn:nbn:de:0009-23-21090).  

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