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Römers kurzer Text, ein durch zahlreiche Anmerkungen erweiterter Vortragstext, fokussiert zwei anspruchsvolle Gegenstände, Ruschas Fotobuch Twentysix Gasoline Stations (1963) und – in kritischer Absicht – Rosalind Krauss’ einflussreiche Bestimmung des Fotografisch-Indexikalischen als Paradigma der künstlerischen Avantgarden seit Duchamp (»Anmerkungen zum Index, Teil I« und »Teil II«, in: October 1976 und 1977). Wie hängen diese Fragestellungen zusammen? Dem vorangestellten erratischen Abstract lässt sich eine These noch nicht entlocken. Erst nach einigen Seiten, auf denen Römer die Straßenfotografie Ruschas als eine zugleich minimalistische und pop-artistische Replik auf den subjektivistischen Stil des Robert Frank und dessen legendäres Fotobuch The Americans beschreibt, nimmt man eine Spur auf: Ruschas Äußerung, dass seine seriellen, antinarrativen Fotografien wie eine Sammlung von »ready-mades« zu verstehen seien, motiviert die im folgenden neben ausführlichen Jeff Wall-Zitaten eingeführte Diskussion über den von Krauss hergestellten Zusammenhang zwischen dem Begriff der Indexikalität der Fotografie und Marcel Duchamps Readymade. Krauss berief sich hierbei auf eine Notiz von Duchamp, der auf die Parallele des Herstellungsprozesses verwies: die »physische Transposition eines Gegenstands aus dem Kontinuum der Realität in den fixierten Zustand eines Kunstgebildes durch einen Moment der Isolation oder Selektion« (zitiert in Abs. 8). Dem Readymade wie der Fotografie kommt als »Momentaufnahme« demnach der Charakter eines leeren Zeichens im Sinne von Jakobsons Begriff des »Shifters« zu.

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Römer meldet nun an diesem gesamten, auch auf Überlegungen Benjamins beruhenden Gedankengang radikale Zweifel an. Er hält es für ein physikalisches »Missverständnis« anzunehmen, dass »das immaterielle Licht einen materiellen Abdruck hinterlasse« und schlägt vor, »den fotochemischen Prozess genauso als mediale Transformation zu betrachten wie eine Darstellung auf dem Radarschirm […]« (Abs. 10). Diese Aussage ist ebenso lapidar wie falsch. Das Licht setzt im fotochemischen Prozess unbezweifelbar materielle Prozesse in Gang, die ein »automatisches« Abbild des belichteten Gegenstands liefern. Römer scheint – apropos »mediale Transformation« – die technischen Gegebenheiten der digitalen Fotografie verallgemeinern zu wollen, die den Dokument- oder Abdruckcharakter der analogen Fotografie weitgehend obsolet gemacht haben bzw. den indexikalischen Zeichencharakter in seiner Relativität kenntlich werden ließen. Von einer solchen Verallgemeinerung ausgehend moniert Römer Krauss’ »reduktionistische« Fixierung auf den Index. Seine Kritik lässt sich auf die Formel bringen, dass die schon von Roland Barthes ins Spiel gebrachte Idee eines »natürlichen Nichtcodes« der Fotografie ihre Beziehung auf kulturelle Codierungen unterschlage und somit der Eigenart zum Beispiel von Ed Ruschas protokonzeptualistischer Foto-Serie nicht gerecht würde.

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So einfach haben sich Krauss, Benjamin und Barthes die Sache aber doch nicht gemacht. Barthes spricht in seiner Analyse der Pangani-Spaghetti-Reklame (1964) vom »Paradox einer Nachricht ohne Code«, denn diese buchstäbliche Nachricht ist in der Bildreklame vereint mit ikonischen und linguistischen Nachrichten. Auch Krauss ist trotz ihres ahistorischen Denkens weit davon entfernt, kulturelle Codierungen zu leugnen. Worin sonst hätte Duchamps »Panorama des Index« in Tu’m seinen Sinn, wenn nicht im Bruch mit der Stilgeschichte, und diese gehört doch wohl zum Code der Kunst? Dass Römer anlässlich der plastischen Bürste inmitten der als Schattenrisse gegebenen Readymades einen Assemblage-Charakter dieses Werks ausmacht, nimmt dem Argument nichts. Worin also liegt der Vorteil des mit Referenz auf Derrida eingeklagten super-konstruktivistischen Ansatzes, der das Dokumentarische der Fotografie gänzlich auflöst in die Inszenierung der »Fiktion des Dokumentarischen« (Abs. 20). Warum sollte Ruschas parodistische Anschmiegung an eine amateurfotografische Schnappschuss-Ästhetik nicht mit dem Konzept des Indexikalischen begriffen werden können, verfolgt Ruscha doch auf allen Ebenen, der fototechnischen wie der formalen wie auch der gegenständlich-kulturellen, so Römer, »eine Reproduktionsstrategie« (Abs. 21). Die Abgrenzung von Krauss’ Index-Begriff dient offenbar dazu, das diesem Begriff noch eigene materialistisch negative Element zu eliminieren. Römer appelliert stattdessen an ein aktionistisches Potential, das den Einflussbereich der Bilder »über den selbstreferentiell eingefrorenen Institutionsbegriff [gemeint ist die Institution der Kunst] hinaus vergrößern« könnte (Abs. 21). Damit wäre man wieder bei der romantischen Sehnsucht nach Entgrenzung der Kunst ins Leben angelangt, für die Ruscha kaum als Zeuge dienen kann.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Prange R.: Kommentar zu Stefan Römer: Rethinking the Index. Einige Bemerkungen zur Rezeption von Ed Ruschas Fotoarbeiten in Relation zum fotografischen Index-Begriff (Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion 2008-8). In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-45 (urn:nbn:de:0009-23-20708).  

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