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Eine Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte wird – mehr als es für die meisten anderen Fächer der Universität gilt – immer auch eine Sammlungsgeschichte schreiben müssen. Dies ist vor allem in den letzten Jahren methodisch wie inhaltlich angeregt worden: Einzelne Sammlungen wurden aufgearbeitet, und dabei auch eine Mediengeschichte von ihnen geschrieben. Was noch aussteht – nicht zuletzt, weil eine umfassende Studie dazu bisher fehlt –, ist, die Entwicklung der dem Fach eigenen Sammlungen zu erforschen, in Bezug auf die Universitätssammlung einerseits und auf die Lehrsammlung andererseits. Zwei Aspekte scheinen mir in diesem Zusammenhang bedeutsam.

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Erstens gilt es, neben der Ausweitung der neueren (praxeologisch orientierten) methodischen Ansätze auf weitere institutionengeschichtliche Sammlungsdarstellungen, diese auch dezidiert mit der Gegenwart zu verbinden und aus der Warte heutiger Ankaufsmöglichkeiten, Kanonbildungen und Schenkungen zu betrachten. Im Rahmen von Universitätssammlungen sind Fragen nach Wertsteigerung, Inbesitznahme und Zugänglichkeit nur in seltenen Fällen geklärt und müssen immer wieder neu zwischen Institut, Privatperson und Hochschulleitung ausgehandelt werden.

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Zweitens hat sich durch die Sammlungen des Faches eine bestimmte material- und mediengebundene Sehschule etabliert, die eine eigene Geschichte besitzt, die zugleich fortgeschrieben wird. Diese Geschichte ist im besonderen Maße von medialen Veränderungen betroffen. In dieser Hinsicht geht die Sammlung eines kunsthistorischen Instituts ein besonderes Verhältnis zu den fortdauernden Digitalisierungsprozessen ein: Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um das Diapositiv. Bis vor wenigen Jahren wurde die klassische Diaprojektion der Powerpoint-Präsentation vorgezogen. Heute greifen selbst einst hartnäckige Vertreter dieser Zeigeform auf die digitalen Möglichkeiten zurück. Was aber soll nun mit den Tausenden von Dias, Leuchtkästen und -schränken geschehen, die ganze Generationen in ihrem Wahrnehmungsverhalten maßgeblich geprägt haben? In den Naturwissenschaften, beispielsweise in der Pathologie, scheint dieses Problem einfacher zu lösen sein: Auch dort spielten bis vor kurzem gläserne Objektträger eine bedeutsame Rolle. Feinste Gewebeschnitte wurden angefertigt, auf den Träger aufgetragen, eingefärbt und dienten so der eingehenden Untersuchung mit Hilfe des Mikroskops. Heute werden die fertigen Schnitte anschließend digitalisiert und damit zur näheren Untersuchung auf dem Computerbildschirm verfügbar gemacht. Der Objektträger selbst wird, wenn überhaupt, nur für kurze Zeit archiviert. Während in der Pathologie eine neue Definition des Originalbegriffs vorgenommen wird, bleibt in der Kunstgeschichte der Rückgriff auf das Original, das hinter dem Dia steht, erhalten. Das Kunstwerk selbst ist die unhintergehbare Quelle für eine angemessene Schulung des Auges. Dies unterscheidet die Kunstgeschichte von anderen universitären Fächern, in denen zunehmend das (Lehr-)Sammlungswesen als rein wissenschaftshistorisches Vorhaben begriffen und die Verantwortung für die dreidimensionalen Gegenstände an die historischen Fächer abgetreten wird.

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Die Sammlungen kunstgeschichtlicher Institute sind deshalb so interessant, weil hier eine produktive Gleichzeitigkeit vorliegt, indem sich eine permanente Bedeutungsumwandlung der Objekte zwischen Lehr- und Forschungsmaterialien und historischer Sachzeugenschaft vollzieht. Manche von ihnen sind nach wie vor in die Lehre eingebunden, während sie andernorts schon als museumswürdig angesehen werden. Dieses Changieren macht sie in der gegenwärtigen Situation aufregend und wertvoll: Aufregend, weil man an ihnen die Entstehung des Historischen in seinen Facetten beobachten kann; wertvoll, weil sie Anlass geben zu zahlreichen Forschungsmöglichkeiten, die sich erst durch die brüchige und wieder neu herzustellende Bedeutung der Dinge ergeben.

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In dieser Hinsicht hat die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte nicht nur einen gegenwärtigen Fokus auf die Sammlungsgeschichte zu legen, sondern kann als ›Objektwissenschaft‹ die eigenen, fachgebundenen Ausprägungen einer Praxis mit und durch das Objekt zu neuen ›Anmerkungen zur Geschichte der Dinge‹ formen.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Te Heesen A.: Das Fach als Objektwissenschaft. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-8 (urn:nbn:de:0009-23-17771).  

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