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Was für einen Kommentar sollen wir zu einer wissenschaftlichen Literatur schreiben, deren Theorien wir nicht mehr für glaubenswert halten? Mit dieser Frage identifizierte Michael Podro das methodologische Grundproblem der Wissenschaftsgeschichte nicht nur der Kunstgeschichte, sondern aller Disziplinen.  [1] Podros Antwort darauf ist wohl bekannt; als Philosoph hob er nur eine Tradition der Kunstgeschichtsschreibung hervor und versuchte zu demonstrieren, wie sich diese Tradition, die mit Hegel anfing und mit Panofsky zu Ende ging, mit grundsätzlichen philosophischen Fragen auseinandersetzte. Podro zufolge war die Tradition der Critical Historians of Art von Bedeutung, weil sie sich mit den gleichen begrifflichen Problemen – d.h. dem Verhältnis des Betrachters zum Kunstwerk und der Geschichtlichkeit von Kunst – beschäftigte wie der Kunsthistoriker der Gegenwart.

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Dieses Konzept betrachtet man schon seit langem als fragwürdig; Podros Kantische Einstellung kann man als unhistorisch kritisieren, denn sie folgt dem Axiom begrifflicher und philosophischer Konstanten und vernachlässigt dabei die soziale Dimension der Begriffsbildung. Empirisch war seine Stellungnahme ebenfalls stark begrenzt, da sie andere kunstwissenschaftliche Traditionen ganz außer Sicht lässt; über die Kunstgeschichte in z.B. England, Frankreich oder Spanien hatte sie nicht viel zu sagen.

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Es ist vielleicht unfair, Podro herauszugreifen, denn er verkörpert eine Art Wissenschaftsgeschichte der Disziplin, die immer noch weit verbreitet ist. Damit einher gehen weitere Eigenschaften, über die man sich kritisch äußern kann. Sie konzentriert sich, zum Beispiel, auf bestimmte Individuen. Es ist nicht nötig, die ganze Liste der ›Altmeister moderner Kunstgeschichte‹ aufzuzählen, der Kanon solcher Meister ist bekannt. Aber bei dieser Tendenz zur Fokussierung auf Individuen lässt sich eine Reduzierung der politischen Dimension der Kunstgeschichte auf ein Minimum beobachten; es wird zwar erkannt, dass in vielen Fällen kunsthistorische Urteile von politischen Meinungen geprägt waren, aber der Status der Kunstgeschichte als ideologisches, sozialpolitisches oder institutionelles Gebilde ist kaum untersucht worden.

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Eine Sozialgeschichte der Kunstgeschichte gibt es kaum; wie würde die Geschichte der Disziplin aussehen, wenn man eine ›Wissenschaftsgeschichte ohne Namen‹ verfolgte, oder wenn die Namen der ›Altmeister‹ nur erwähnt würden, um weitere disziplinäre und soziale Bedingungen oder Prozesse zu veranschaulichen? Bis heute wurde nur ein Versuch unternommen, eine Geschichte der Kunstgeschichte als Institution zu schreiben, und dem Beispiel Heinrich Dillys ist praktisch niemand gefolgt.

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Es gibt mehrere wohlbekannte Paradigmen der Disziplingeschichte, und es ist auffallend, dass sie sehr geringe Einwirkung auf das historische Verständnis der Kunstgeschichte hatten. Eine Foucaultsche Archäologie des kunsthistorischen Wissens gibt es kaum, oder wenn schon, dann meistens nur im Rahmen der Kritik der museologischen Praxis. Andererseits könnte man mit Bourdieu den kunstwissenschaftlichen Habitus untersuchen oder die diskursiven Operationen der Kunstgeschichte als ein institutionalisiertes Kampffeld analysieren; bis jetzt gibt es keine solche Analyse. Eine dritte Möglichkeit wäre, natürlich, dem Beispiel Kuhns zu folgen und eine paradigmatische Geschichte der Kunstgeschichte anzustreben – aber außer ein paar oberflächlichen Versuchen, den Aufstieg der Bildwissenschaft als Paradigmenwechsel darzustellen, hat auch dieses Modell fast keinen Einfluss gehabt.

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Ich will nicht sagen, dass man die eine der oben aufgezählten Möglichkeiten gegenüber den anderen privilegieren sollte; alle erschließen neue Forschungsperspektiven und -fragen, sie haben aber auch ihre eigenen Probleme. Offenkundig ist jedenfalls, dass die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte bis jetzt wenig Interesse an solchen Paradigmen gezeigt hat.

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Eine Erklärung dafür wäre, dass eine solche Untersuchung auch unbequeme Fragen an die zeitgenössische kunsthistorische Praxis stellen würde; wir müssten dann unsere eigenen institutionalisierten Praktiken, unsere Kämpfe um symbolische Macht auf dem kunstgeschichtlichen Feld unter die Lupe nehmen. Man spricht ganz leicht von der Zunft der Kunsthistoriker, aber wie wäre es, wenn man diese Vorstellung ernst nähme und die historischen und zeitgenössischen ›Regeln‹ dieser Zunft analysierte? Es gibt fruchtbare Modelle für ein solches Unternehmen; in seiner Studie über die akademischen Stämme erklärt der britische Soziologe Tony Becher nicht nur wie wissenschaftliche Diskurse bestimmten begrifflichen und disziplinären Paradigmen folgen, sondern auch wie akademische Disziplinen die breiteren sozialen und kulturellen Identitäten ihrer Vertreter widerspiegeln.  [2] Hier bietet sich die Möglichkeit einer Analyse des Kunsthistorikers als soziale, historische und kulturelle Kategorie – eine solche Untersuchung der Kunstgeschichte ist noch nicht versucht worden.



[1] »[…] what kind of commentary are we to construct upon a literature […] if we no longer believe in its theories?« Michael Podro: Art History and the Concept of Art, in: Kategorien und Methoden der deutschen Kunstgeschichte 1900-1930, hg. v. Lorenz Dittmann, Wiesbaden 1985, S. 209-217, hier S. 209.

[2] Tony Becher: Academic Tribes and Territories: Intellectual Enquiry and the Cultures of Discipline, London 2001.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Rampley M.: Einige Bemerkungen über die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-14 (urn:nbn:de:0009-23-17709).  

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