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Das anlässlich des Kunsthistorikertages in Marburg veranstaltete Forum zur »Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte« ist keine Tagungssektion der üblichen Form. Das etablierte Format des ›Panels‹, zu dem aus einer Reihe eingesandter Vorschläge eine Anzahl von Beiträgen für Vorträge ausgewählt wird, würde sich nicht eignen für das, was wir anstreben. Es geht nicht darum, zu einer präzise umreißbaren Forschungsfrage neue Ergebnisse vorzustellen, über eben Geleistetes eine breitere Fachöffentlichkeit zu informieren, interessierte Kolleginnen und Kollegen an den eigenen Forschungen teilhaben zu lassen. Die Idee des Forums zielt vielmehr auf Grundsätzlicheres, nämlich auf die Frage nach der Rolle und Funktion dessen, was wir versuchsweise »Wissenschaftsgeschichte« genannt haben, ein Begriff übrigens, der von einschlägig tätigen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern eher selten verwendet wird. Man findet stattdessen häufiger den Terminus Fachgeschichte oder Disziplingeschichte.

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Dieser ganze Bereich hat sich überaus dynamisch entwickelt und breit ausdifferenziert. Damit hat noch vor drei Jahrzehnten kaum jemand gerechnet. Wer sich mit der Geschichte des Faches befasste, hat sich damit buchstäblich an den Rand des Diskurses begeben. Mit einer fachhistorischen Arbeit qualifizierte man sich in den Augen vieler Kolleginnen und Kollegen kaum für eine kunsthistorische Laufbahn, gleichgültig in welchem Bereich. Dies scheint sich in einer spezifischen Weise verändert zu haben, was die Frage nach den Gründen, Konsequenzen und Perspektiven aufwirft.

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Man kann den Aufschwung der Disziplingeschichte ansatzweise aus dem Aufbruch der geisteswissenschaftlichen Fächer nach dem Zweiten Weltkrieg erklären, dem Bedürfnis nach einer Revision der Grundlagen des Wissens aus dem Versuch, die Dialektik der Aufklärung zu begreifen. Zwar haben auf die Fachgeschichte und Methodik reflektierende Antrittsvorlesungen, Memoiren, Grundsatzpapiere, historisch argumentierende Selbstdarstellungen den Strom der gegenstandsorientierten Forschung seit jeher begleitet; auch findet man biographische Darstellungen einzelner Personen oder ganzer Reihen, wie in Wilhelm Waetzoldts Deutsche Kunsthistoriker (1921/24). Es ist aber in der Art der Reflexion auf die Geschichte der Kunstgeschichte seit den siebziger Jahren eine neue Qualität zu erkennen. Genealogische Ableitung und Verortung des eigenen Ansatzes, ›Würdigung‹ der Verdienste der Vorfahren, antiquarische Kuriosität werden immer noch betrieben, doch ist seither jenes Interesse zum Leitgedanken der fachgeschichtlichen Forschung avanciert, das mit dem Adjektiv ›kritisch‹ am besten bezeichnet ist. Der Impetus des Aufbruchs hat nachhaltig gewirkt und zeigt sich heute insbesondere darin, dass die Geschichte und Kritik des eigenen Faches jenseits reiner Anwendbarkeit (Methode) oder anderweitiger Nützlichkeit (Genealogie) thematisiert werden können.

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Die heute zu konstatierende, nur scheinbar konsolidierte Situation ist allerdings widersprüchlich und hat sich zumindest partiell womöglich schon wieder unversehens von einer ›kritischen‹ Position im einstigen Sinne entfernt. Wenn man zur Schärfung des Arguments die Extrempositionen konstruiert, so wird heute einerseits Geschichte der Kunstgeschichte innerhalb des Faches mit einem objektivistischen Ansatz als weitgehend theorieferne Faktenaufarbeitung betrieben. Andererseits zeichnet sich ein wachsendes Interesse an wissenschaftsgeschichtlicher Forschung mit allgemeiner, diskurskritischer Perspektive ab. Beide Haltungen sind gut motiviert: Eine auf die Überschreitung der Fachgrenzen angelegte Forschung als Geschichte des Wissens ist zweifellos erkenntnisträchtig und anregend. Aber auch die strenge Erforschung der Ereignisse im engen Rahmen einer definierten Fachgemeinde vermag durch die erreichbare Exaktheit und Detailgenauigkeit als Darstellung von Zusammenhängen und diskursiven Vorgängen durchaus zu interessieren. Doch in beiden Fällen kann die Verbindung zu einem spezifischen Fachdiskurs problematisch werden, wenn Fachgeschichte oder Wissenschaftsgeschichte sich als allgemeines historiographisches Unternehmen versteht und nicht mehr als ›Kunstgeschichte‹ – was immer damit gemeint ist. Wenn die eine Argumentationslinie, um die Metapher vom ›Rahmen‹ aufzugreifen, den Raum des Bildes verlässt, die Differenz zwischen Innen und Außen überspielt oder negiert und in dieser Bewegung einen Mehrwert zu generieren sucht (allgemeine Wissenschaftsgeschichte), so thematisiert die andere das Rahmenwerk als Struktur spezifischer Art (Geschichte des Fachdiskurses als Metadiskurs und Selbstzweck).

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Wissenschaftsgeschichte als Selbstzweck? Warum nicht. Sie ist im Sinne einer allgemeinen »Archäologie des Wissens« als philosophische oder soziologische Disziplin natürlich denkbar. Aber ist es nicht so, dass im Zusammenhang von Innen und Außen, der vom Rahmenwerk des Diskurses gestaltet wird, ein wesentlicher Witz liegt, um dessentwillen man sich auch mit dem Rahmen überhaupt befassen mag? Der Rahmen verbindet Innen und Außen, hält eine Sache zusammen, bestimmt deren Wirkung. So wichtig er ist, er wäre ohne Gerahmtes doch eine leere Geste. Das Gerahmte allein, ohne Rahmen aber würde in seiner Besonderheit im Allgemeinen untergehen. Das Bild mag schief sein. Gemeint ist etwa Folgendes: Wissenschaft ist als lokalisiertes Wissen, als spezifisches Wissen von und über etwas zu denken. Greifbar und verhandelbar wird Wissen aber in Medien. Hier kommt Sprache ins Spiel, das Bild, die ›Bildende Kunst‹. Man kann nun geltend machen, dass Kunst bzw. ›Bildende Kunst‹ ein besonderes Medium des Wissens ist, das sich durch gegenständliche, in der Regel materielle, jedenfalls visuelle Präsenz auszeichnet.

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Hieraus ist keineswegs zu schließen, dass Kunstgeschichte als historische Wissenschaft der Kunst eine Wissenschaft zweiter Ordnung sei, indem die erste Instanz, die Kunst, schon Wissen über ein Erstes beinhalte, und in der Folge Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte eine Wissenschaft dritter Ordnung, indem sie Wissen über das Fach Kunstgeschichte erschließt. Die Begriffskaskade ist irreführend. Sie zeigt nur scheinbar eine Distanzierung vom ›Eigentlichen‹ an. Vielmehr haben wir es auf allen Ebenen mit Medien und also mit Prozessen medialer Transformation zu tun. Hier zeigt sich das Feld, auf dem sich eine Kunstgeschichte betätigen kann, die wissenschaftsgeschichtlich argumentiert, die also Wissenschaftsgeschichte nicht als Hilfs- oder Rahmendisziplin betreibt, sondern integriert, die den Rahmen mit dem Gerahmten zu denken versucht.

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Einer wissenschaftsgeschichtlich argumentierenden Kunstgeschichte können jene Transformationsprozesse in ihrer Komplexität greifbar werden, die sich im Laufe der künstlerischen und wissenschaftlichen, um Generierung und Freisetzung von Erkenntnis bemühten Auseinandersetzung mit gestalteten Objekten abspielen. Sie handelt nicht von Dingen an sich, sondern von Wahrnehmungen von Dingen, von Rezeptionsprozessen als kulturellen Ereignissen. Bildende Kunst – verstanden im weitesten Sinne als ›Bild‹-Produktion oder bildnerische Gestaltung – wird als kulturelle Praxis in den Blick genommen, anhand der beispielsweise das für die westliche Kultur grundlegende Problem der Differenz zwischen visueller (sichtbarer) und sprachlicher (begrifflicher) Wissensspeicherung, -verarbeitung und -übermittlung exemplarisch erforscht und diskutiert werden kann. Nicht einfach nur um die Geschichte von sich wandelnder Würdigung und Wertschätzung ›ästhetischer‹ Produkte ginge es hier. Vielmehr wäre aufzuzeigen, dass an solchen Objekten und mit ihnen, gerade auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, in einer spezifischen Weise gesellschaftliche Wertesysteme artikuliert, ›objektiviert‹ und tradiert werden, dass in Kunst und Kunstgeschichte Wissen auf besondere Art generiert und überliefert wird – was der Leitbegriff des 30. Kunsthistorikertages, Kanon, zur Sprache bringt.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Locher H.: Im Rahmen bleiben - Plädoyer für eine wissenschaftsgeschichtlich argumentierende Kunstgeschichte. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-18 (urn:nbn:de:0009-23-18139).  

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Kommentare

  1. Brevern, Jan von | 19.03.2009

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