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Die Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte sollte sich in Hinsicht auf ihre aktuelle stark interdisziplinär bestimmte Praxis im Blick zurück auch und vielleicht vor allem des Anteils der Literatur verstärkt bewusst werden. Dabei ist hier nicht an die Traktatistik, die ›Kunstliteratur‹ gedacht, als vielmehr an die ›belles lettres‹. Aufschlussreich genug, trennt ja erst das 18. Jahrhundert die ›schöne Literatur‹ von der bis anhin unter dem Begriff der Literatur insgesamt subsumierten Gelehrsamkeit und wissenschaftlichen Publikationspraxis.

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Nicht allein hinsichtlich der Ekphrasis dürfte ein solch expansiver Zugriff die vielfache Wechselwirkung zwischen Kunst und Literatur, aber auch zwischen antiquarischer und historiographischer Befassung mit ihr einerseits, literarischer/poetischer Hinwendung andererseits erhellend freilegen lassen. Dabei ist zuversichtlich davon auszugehen, dass erhebliche Konvergenzen sichtbar werden, die später dominierende Divergenzen – oft genug im Zuge akademischer Selbstverständigung und Verselbständigung – in Vergessenheit haben geraten lassen.

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Dieses Phänomen ist bereits für die Frühe Neuzeit zu konstatieren und hat über die Jahrhunderte hinweg die Praktiken beider ›schönen Künste‹ ebenso bestimmt, wie deren sprachliche ›Begleitung‹ durch Historiographie und ›Poesie‹ gleichermaßen. In jüngster Zeit ist dabei vor allem der Epochenschwelle um 1800 gebührende Aufmerksamkeit geschenkt worden – noch immer freilich fehlt eine systematische Untersuchung oder auch nur grundsätzliche Haltung, die, auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht, den eigenen Beitrag der ›Literatur‹ und deren Beeinflussung der ›Kunstgeschichte‹ zu würdigen erlaubte.

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Die zunehmend vorangetriebene Erforschung von in beiden Domänen agierenden Kunsthistorikern (so etwa Franz Kugler oder Herman Grimm) hat auch für den deutschsprachigen Raum ein zunehmend waches Bewusstsein der steten Durchlässigkeit zwischen diesen Domänen entstehen lassen, wie es für die romanischen Länder, Frankreich zumal, länger schon die Forschung bestimmt.

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Eine Wissenschaftsgeschichte der Kunstgeschichte, die sich der produktiven Nähe (gelegentlich auch Abhängigkeit) des Faches zur literarischen Praxis zuwenden würde, erlaubte es, auch besonderen Formaten des Schreibens, etwa des von Herman Grimm theoretisierten ›Essays‹, entspannter zu begegnen. Für die bildkritischen Fragen, wie sie das Fach derzeit mancherorts beschäftigen, wäre eine solche Forschungsperspektive zudem gänzlich unverzichtbar.

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Empfohlene Zitierweise

Beyer A.: Blick zurück nach vorn. Die Bildenden Künste, ihre Geschichte und der Anteil der Literatur. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-2 (urn:nbn:de:0009-23-17615).  

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