<1>

San Lorenzo in Florenz gilt als der früheste Kirchenbau der italienischen Renaissance, und üblicherweise wird er Filippo Brunelleschi zugeschrieben. Es wurde aber auch schon vielfach die Frage gestellt, ob der von 1417 bis 1422 amtierende Prior von San Lorenzo, Matteo Dolfini, einen Anteil an der Planung der Kirche hatte, und wenn ja, wie dieser im Verhältnis zu dem Wirken Brunelleschis zu beurteilen wäre. Matthew Cohen glaubt nun den Nachweis erbracht zu haben, dass Dolfini sogar der maßgebliche Architekt des Neubaus von San Lorenzo gewesen sei. Seine diesbezüglichen Schlussfolgerungen gründen sich auf die Ergebnisse der Proportionsverhältnisse dieser Kirche, die er genauestens untersucht hat. Cohens außerordentlich detaillierte und umfassende Analysen können in San Lorenzo ein ausgeklügeltes Proportionssystem nachweisen, das in einer mittelalterlichen Tradition steht und dessen Wurzeln bis zu Boethius zurückreichen. Da dieses Proportionssystem mit seinen irrationalen Zahlen sich jedoch grundlegend von demjenigen unterscheidet, das Brunelleschi in Sto. Spirito angewandt hat, wo die auf ganzen Zahlen beruhenden Proportionen der Renaissanceästhetik entsprechen, stellt sich Cohen im Hinblick auf die Autorschaft von San Lorenzo unvermeidlicherweise die Frage »how much Brunelleschi?«, die schon im Titel seiner Untersuchung die größtmögliche Aufmerksamkeit sicherstellt.  [1]

<2>

Cohen hält es angesichts des von ihm erhobenen Befundes für ausgeschlossen, dass Brunelleschi der Urheber des Neubauplanes von San Lorenzo gewesen sein könne. Als den Autor dieses Gesamtplans, der auch die Alte Sakristei umfasste, bezeichnet er dagegen den angeblich als Architekten tätigen Prior von San Lorenzo, Matteo Dolfini. Brunelleschis Beitrag habe lediglich darin bestanden, Dolfinis Entwurf zu modernisieren. »He [i. e. Brunelleschi] contributed«, meint Cohen, »the designs of all the present columns, pilasters, and other architectural articulations, and the complex melon dome and certain vertical dimensions of the Old Sacristy, but he otherwise left Dolfini's design and proportional system essentially unchanged, with one significant exception: where Dolfini probably intended a series of typically late medieval, slightly pointed arches in the nave arcades – […] – Brunelleschi instead inserted the present semicircular arches, which are of slightly lesser height« (S. 42). – Danach scheint auf die Frage »How much Brunelleschi?« tatsächlich nur eine Antwort möglich zu sein: »Sehr wenig«.

<3>

Cohens Untersuchungen der Proportionen von San Lorenzo verdienen Respekt und Anerkennung; was seine Schlussfolgerungen betrifft, so wird er jedoch der von ihm selbst erhobenen – im übrigen selbstverständlichen – Forderung, die Ergebnisse der Proportionsstudien mit den sonst verfügbaren Daten der Baugeschichte in Einklang zu bringen (S. 44), nicht gerecht. Wie andere Autoren vor ihm auch, geht Cohen davon aus, dass die im frühen 15. Jahrhundert in Angriff genommenen Bauvorhaben an San Lorenzo einen vollständigen Neubau der Kirche zum Ziel gehabt hätten. Beobachtungen am Bau und die vorhandenen Dokumente bezeugen jedoch, dass davon keine Rede sein kann. Es ging lediglich darum, die Kirche von Alt-San Lorenzo durch angefügte neue Bauteile zu vergrößern. Alt-San Lorenzo, ein um 1060 geweihter Proto-Renaissancebau, sollte erhalten bleiben.  [2] Die mittelalterlichen Proportionen von San Lorenzo finden also durch die besondere Baugeschichte eine einfache Erklärung: Sie sind die unvermeidliche Folge der Absicht, den zu erhaltenden Altbau harmonisch mit den neuen Anbauten zu verbinden.

<4>

Eines der wichtigsten und offensichtlichsten Argumente für diese Sicht der Baugeschichte von San Lorenzo sind die Baunähte in der Fassade von San Lorenzo. Diese Baunähte verlaufen zwischen der Hauptfassade und den Fassaden der Seitenschiffskapellen. Bei den südlichen Seitenschiffskapellen geht die Baunaht über die ganze Höhe dieses Fassadenteils; auf der Nordseite reicht die Baunaht dagegen nur bis in die halbe Höhe, dann folgt homogenes Mauerwerk (Abb. 1).  [3]

1 San Lorenzo, Florenz. Fassade mit der Baunaht auf der Nordseite

<5>

Obwohl diese auffälligen Baunähte von der Forschung üblicherweise (und erstaunlicherweise) nicht zur Kenntnis genommen werden, verlangen sie doch eine Erklärung.  [4] Drastischer als jede andere Darstellung der Baugeschichte von San Lorenzo führt die Studie von Cohen vor Augen, auf welche Abwege es führt, wenn diese Fakten nicht beachtet werden.

<6>

Die Bauvorhaben an San Lorenzo im 15. Jahrhundert werden erstmals 1418 aktenkundig. Im Dezember dieses Jahres verleiht die Florentiner Signoria einem Gesuch »des Priors, der Kanoniker und des Kapitels von San Lorenzo«, Gesetzeskraft, das eine erhebliche Grundstücksvergrößerung der alten Kirche vorsieht. Sie dient dazu, die Kirche nach Westen – San Lorenzo ist gewestet – durch Anbauten zu erweitern, das heißt, ihr mit sehr schönen Gebäuden ein neues Erscheinungsbild zu geben (»ampliare, et pulcherrimis edificiis reformare«). Von einem vollständigen Neubau ist nicht die Rede. Die Abmessungen des neuen Baugeländes werden genau beziffert: 65 braccia in der Verlängerung der Mittelschiffsachse und 110 braccia für die Breite der Kapellenreihe (»ex posteriori parte debet bracchis sexaginta quinque, et per latitudinem centumdecem in ordine Cappelarum«). Dem Gesuch war auch schon ein Entwurf für die beabsichtigten Neubauten beigefügt (»iam constructionis opus designarunt«), daher überrascht es nicht, dass die ausgeführten Neubauten sich exakt an die Abmessungen des Areals von 65 : 110 braccia halten (s. Abb. 2). Cohen erweckt den Eindruck, als stünde außer Zweifel, dass der Prior von San Lorenzo, Matteo Dolfini, auch der Architekt des Neubauvorhabens gewesen sei. Dafür gibt es jedoch nicht die geringsten Anhaltspunkte. Das Dokument von 1418 erwähnt, wie eben zitiert, als Vertreter des Bauantrags nur »den Prior, die Kanoniker und das Kapitel von San Lorenzo«. Anders als man nach den Ausführungen Cohens erwarten zu können glaubt, wird Matteo Dolfini nicht genannt – nicht als Prior und erst recht nicht als Architekt. Dass der damalige Prior Matteo Dolfini hieß, ist überhaupt erst durch moderne Forschungen bekannt geworden.  [5]

2 San Lorenzo, Florenz. Grundriß,
im Süden die Alte Sakristei und die angrenzende Medici-Kapelle
SS. Cosma e Damiano

<7>

Bevor die 1418 geplanten Neubauten in Angriff genommen werden konnten, mussten jedoch erst die auf dem Erweiterungsareal stehenden Häuser enteignet und abgerissen werden, was noch einige Jahre in Anspruch nahm. Für das Querhaus konnte der Grundstein am 10. August 1421 »hinter dem Campanile« gelegt werden, der sich an die nördliche Reihe der Seitenschiffskapellen anschließend erhob. Der Bauplatz für die Errichtung der Alten Sakristei wurde erst im Herbst 1422 freigeräumt (1. Oktober 1422: »Ando a terra disfessi per fare la sagrestia«  [6] ). Im Frühjahr 1422 war der Prior Dolfini noch am Leben.  [7] Nach allgemeiner Ansicht habe aber just um diese Zeit Brunelleschi den Neubau von San Lorenzo übernommen. Daher stellt sich nun die entscheidende Frage, nach wessen Plänen 1421/22 zu bauen begonnen wurde? Noch nach denjenigen Dolfinis, oder schon nach denjenigen Brunelleschis? Cohen hält es für ausgeschlossen, dass Brunelleschi habe zerstören lassen, was bis zu seiner Übernahme des Baues, also bis 1421/22, von Dolfini errichtet worden war; schon aus Zeitmangel sei damit nicht zu rechnen (S. 41 ff.). In dieser Einschätzung kann man Cohen nur zustimmen. Aber anders als Cohen glaubt, macht diese Feststellung doch nur deutlich, wie unwahrscheinlich es ist, dass Dolfini überhaupt etwas gebaut hat. Da erscheint es viel plausibler, dass Brunelleschi von Anfang an involviert war und schon den Plan von 1418 im Auftrag Dolfinis und des Kapitels von San Lorenzo entworfen hat. Es kann jedenfalls nicht bezweifelt werden, dass die Alte Sakristei, die zwischen 1422 und 1428/29 als eine Art Solitär weit ab von Alt-San Lorenzo errichtet wurde und im Gesamtplan wie in jedem Detail Zeugnis für Brunelleschi als den verantwortlichen Architekten ablegt, von Anfang an ein integraler Bestandteil des Planes war, der dem westlichen Erweiterungsbau zu Grunde lag.  [8] Schon wegen der gleichzeitig errichteten, angrenzenden Medici-Kapelle, die die Verbindung zwischen der Alten Sakristei und dem späteren neuen Querhaus herstellt, ist dieser Zusammenhang evident.

<8>

Nachdem in den 1420er Jahren die Alte Sakristei und die Medici-Kapelle errichtet worden waren, kamen die Bauarbeiten an San Lorenzo weitgehend zum Stillstand. Sie wurden erst wieder in vollem Umfang aufgenommen, als sich Cosimo de' Medici im August 1442 verpflichtete, innerhalb von sechs Jahren die neue Cappella maggiore und das Mittelschiff bis zum alten Hochaltar zu errichten (»capella maior et navis in medio ecclesie existens usque ad altare maius antiquum«). Der von Cosimo übernommene Teil des Mittelschiffs umfasste drei Joche; die alte Basilika mit ihren drei Schiffen »usque ad altare maius antiquum« blieb von diesen Baumaßnahmen unberührt. Als schließlich dieses ganze westliche Anbauprojekt, das das Querhaus mit seinen Kapellen, die Cappella maggiore und die Kuppel über der Vierung umfasste, vollendet war, fand am 9. August 1461 (der 10. August ist der Tag des hl. Laurentius) die Weihe von San Lorenzo statt. Diese Weihe besiegelte die Vollendung der seit 1418 geplanten Erweiterungsbauten von San Lorenzo. Alt-San Lorenzo stand weiterhin unangetastet aufrecht (s. Abb. 2). Die Neubauten stellten eine gewissermaßen nahtlose Fortsetzung des Altbaus aus dem 11. Jahrhundert dar.  [9]

<9>

Cohen hat eine deutlich höhere Qualität in der Ausführung der westlich von Alt-San Lorenzo errichteten Bauteile festgestellt: »The western three bays are finely carved and polished smooth, while the eastern five appear simplified and rough by comparison«,  [10] was ihn zu der korrekten Schlussfolgerung führte: »the nave was built in two distinct phases« (S. 21). Überraschenderweise stellt er aber nicht die eigentlich unvermeidliche Frage, wie es zu diesen zwei Bauphasen gekommen ist. Außerdem erscheint seine Datierung dieser beiden Phasen in die Jahre 1446-1450 und 1461-1464 ebenso willkürlich wie unbegründet. Dagegen kann die erste Phase mit Sicherheit in die Zeit zwischen 1442, als Cosimo de' Medici den Bau wieder in Gang brachte, und 1461, dem Jahr der Weihe des Neubaus, datiert werden. Die zweite Phase war eine Konsequenz der Entscheidung, entgegen dem ursprünglichen Plan dann doch noch das Langhaus von Alt-San Lorenzo durch einen Neubau zu ersetzen. Dieser Beschluss wurde erst in den Monaten August/September 1465 gefasst.

<10>

Die südlichen Seitenschiffskapellen wurden in einem Zuge mit den Konventsgebäuden, die sich südlich des Langhauses von San Lorenzo befinden, ab 1457 errichtet (s. Abb. 2). Zu diesem Zeitpunkt stand noch das Langhaus von Alt-San Lorenzo, weshalb sich die Fassade der Seitenschiffskapellen an die alte Fassade ohne Mauerverbund anfügen musste: Notwendigerweise entstand die beschriebene Baunaht in ganzer Höhe der Fassade. Auf der Nordseite reicht dagegen die Baunaht nur bis in die halbe Höhe der Fassade (Abb. 1). Das heißt, während der Errichtung der ersten nördlichen Seitenschiffskapelle muss der Beschluss gefasst worden sein, das Langhaus von Alt-San Lorenzo durch einen Neubau zu ersetzen, so dass ab einer bestimmten Höhe homogenes Mauerwerk möglich war. Diese Entscheidung kann in die Monate August/September 1465 datiert werden.  [11]

<11>

Es ist nicht bekannt, wann die zweite Phase zum Abschluss kam. Wie die Beobachtungen Cohens zeigen, hat man in dieser zweiten Phase mit deutlich geringerer Sorgfalt gearbeitet; offensichtlich wollte man das Vorhaben rasch beenden. Erstaunlicherweise wurde aber der Campanile erst 1481/82 niedergelegt.  [12] Und erst als an seiner Stelle die neuen nördlichen Seitenschiffskapellen errichtet worden waren, war der Neubau von San Lorenzo schließlich vollendet. – Wäre von Anfang an ein Neubau geplant gewesen, so wäre es zweifellos, schon aus Sicherheitsgründen, eine der ersten Maßnahmen gewesen, den Campanile, der auf dem Grund der neuen Bauten stand, abzutragen. Stattdessen wurde, wie erwähnt, 1421 der Grundstein für die Neubauten »hinter dem Campanile« gelegt, woraus zu schließen ist, dass man mit dessen Erhaltung rechnete.

<12>

Jeder Schritt der Baugeschichte von San Lorenzo von den Planungen des Jahres 1418 bis zum August/September 1465 zeigt deutlich die Absicht, Alt-San Lorenzo zu erhalten und die Neubauten nahtlos anzufügen. Das konnte nur geschehen, indem die Neubauten, um es noch einmal zu sagen, die entscheidenden Maße und Proportionen von Alt-San Lorenzo übernahmen. Grundlegende Unterschiede in den Proportionen zu Sto. Spirito, wo Brunelleschi nicht an vergleichbare Vorgaben gebunden war, waren die Folge; es besteht aber nicht der geringste Anlass, zur Erklärung dieser Unterschiede den Prior von San Lorenzo, Matteo Dolfini, ins Spiel zu bringen.

<13>

Die einzige Quelle des 15. Jahrhunderts, derzufolge Matteo Dolfini als Architekt (»capomaestro«) von San Lorenzo tätig war, ist die Biografie Brunelleschis aus den 1480er Jahren. Ihr Autor, Antonio Manetti, berichtet, dass der damalige Prior von San Lorenzo – einen Namen nennt auch er nicht! – einen Neubau mit Pfeilern aus Ziegelsteinen begonnen habe (»e aveva la cominciata di pilastri di mattoni«). Giovanni di Bicci de' Medici, der Stifter der Alten Sakristei und einer Kapelle, so Manetti weiter, habe dann jedoch im Gespräch mit Brunelleschi beschlossen, »den alten Bau aufzugeben und abzureissen und alles nach einem der Pläne Filippos auszuführen« (»che la fabbrica vecchia s'abandonassi e disfacessisi e attendessisi al tutto a uno de' modi di Filippo«).  [13] Manetti kannte die Geschehnisse, von denen er berichtet, nicht aus eigener Anschauung, daher darf es auch nicht verwundern, wenn seine Darstellung nur teilweise mit den Fakten in Übereinstimmung zu bringen ist. Bei dem nachweislichen Baubeginn um 1421/22 ist es – wie gesehen – strikt ausgeschlossen, dass Manettis Bericht als ein Zeugnis für ausgeführte und wieder abgerissene Bauteile Dolfinis verstanden werden könnte. Mit dem abgerissenen alten Bau, angeblich aus Ziegelpfeilern, ist dagegen ohne Zweifel Alt-San Lorenzo gemeint, auch wenn der Abriss nicht um 1420 durch Giovanni di Bicci, sondern erst 1465, durch dessen Enkel Piero de' Medici, veranlasst wurde. Sobald die Fakten der Baugeschichte geklärt sind, erübrigt es sich, einen Zusammenhang zwischen den »pilastri di mattoni« und Dolfini herzustellen. Manetti ist keine zuverlässige Quelle, um Matteo Dolfini irgendeinen Anteil als Architekt an den Neubauvorhaben an San Lorenzo zuzuschreiben.  [14] Im übrigen bestreitet Manetti, wie auch Cohen betont (S. 41), dass Dolfini irgendeinen Anteil am Entwurf des ausgeführten Baus von San Lorenzo gehabt habe. Daher deutet alles darauf hin, dass Brunelleschi schon der Autor jenes Entwurfes war, den »der Prior, die Kanoniker und das Kapitel von San Lorenzo« 1418 der Florentiner Regierung vorgelegt haben. So haben das andere Autoren auch schon gesehen.  [15]

<14>

Die hier dargelegten Präzisierungen zur Baugeschichte von San Lorenzo sind auch in sozialgeschichtlicher Hinsicht von Bedeutung. Die jüngere Forschung hat keine Zweifel, im Verlauf der Baugeschichte von San Lorenzo einen Niederschlag des ungezügelten Machtstrebens von Cosimo de' Medici sehen zu können. Zunächst seien die Initiativen der Medici zur Errichtung von Teilen von San Lorenzo – Giovanni de' Medici, wohl ab 1418; Cosimo de' Medicis erwähnte Verpflichtung von 1442 – Teil einer gemeinschaftlichen Initiative der wohlhabendsten und einflußreichsten Bürger des Pfarrsprengels von San Lorenzo gewesen. Doch im Anschluss an die Errichtung der Cappella maggiore und der Vierung, so glaubt Caroline Elam, »Cosimo went on to assume responsibility for the construction of the entire basilica and its canonry«. Cosimo habe getan, was sich kein anderer Bürger habe erlauben können: »No other private patron in fifteenth-century Florence before or after Cosimo assumed responsibility for the construction of a large parish church.«  [16] Den Bericht Vespasiano da Bisticcis, der mitteilt, Cosimo habe statt der Kirche die Konventsgebäude errichtet, weil sich dafür nicht so schnell jemand gefunden hätte, erklärt Caroline Elam ausdrücklich als falsch.  [17] Aber die Baudaten stellen unter Beweis, dass Vespasiano im Hinblick auf das alte Langhaus doch recht hat, denn Cosimo veranlasste den Bau der Konventsgebäude im Jahre 1457 – das heißt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Erneuerung des alten Langhauses noch in weiter Ferne lag. Im Zuge der Errichtung der Konventsgebäude sind, wie erwähnt, die südlichen Seitenschiffskapellen an das alte Langhaus angefügt worden. Cosimo ist am 1. August 1464 gestorben. Die Erneuerung von Alt-San Lorenzo, die ja erst 1465 in Angriff genommen wurde, fällt daher unter die Verantwortlichkeit seines Sohnes Piero de' Medici. Selbst ein Cosimo de' Medici wäre nicht so weit gegangen, als Patron einer großen Pfarr- und Konventskirche in Erscheinung zu treten.

Bildnachweis

Archiv des Autors



[1] Matthew Cohen: How Much Brunelleschi? A Late Medieval Proportional System in the Basilica of San Lorenzo in Florence, in: Journal of the Society of Architectural Historians 67, 2008, S. 18-57.

[2] Volker Herzner: Zur Baugeschichte von San Lorenzo in Florenz, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 37, 1974, S. 89-115. Cohen zitiert meinen Aufsatz; die hier dargestellte Baugeschichte hat er aber nicht zur Kenntnis genommen. – Nachweise, die im Folgenden nicht näher spezifiziert sind, finden sich in diesem Aufsatz bzw. sind bequem aufzufinden bei Piero Roselli: Brunelleschi in San Lorenzo, contributi alla cronologia dell'edificazione, in: Antichità viva 18, 1979, Nr. 2, S. 39-43; oder Piero Roselli u. Orietta Superchi: L'edificazione della Basilica di San Lorenzo. Una vicenda di importanza urbanistica, Florenz 1980. – Im Journal of the Society of Architectural Historians 67, 2008, S. 634 f., habe ich in einem »Letter to the Editor« meine Einwände gegen die Thesen Cohens in knapper Form dargelegt, worauf Cohen mit einer Replik antworten durfte, die seine Thesen bekräftigt, ohne auf meine Argumente auch nur mit einem Wort einzugehen. Deshalb erscheint es mir notwendig, die wichtigsten der Daten der Baugeschichte von San Lorenzo noch einmal zu erörtern.

[3] Siehe Abb. 3 meines Aufsatzes von 1974 (wie Anm. 2).

[4] In gewisser Hinsicht ist es also sogar verständlich, wenn auch Cohen die Baunähte ignoriert. Hier seien nur einige der wichtigeren Publikationen zu San Lorenzo genannt: Isabelle Hyman: Notes and Speculations on S. Lorenzo, Palazzo Medici, and an Urban Project by Brunelleschi, in: Journal of the Society of Architectural Historians 34, 1975, S. 98-120; Roselli 1979 (wie Anm. 2); Roselli/Superchi 1980 (wie Anm. 2); Caroline Elam: Cosimo de' Medici and San Lorenzo, in: Cosimo ›il Vecchio‹ de' Medici, 1389-1464, hg. v. Francis Ames-Lewis, Oxford 1992, S. 157-180; Howard Saalman: Filippo Brunelleschi. The Buildings, London 1993; zu San Lorenzo S. 106-209; Uta Schedler: Giovanni di Bicci, Filippo Brunelleschi und der Bau von S. Lorenzo in Florenz, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 44, 1993, S. 47-71; Riccardo Pacciani: Testimonianze della basilica di San Lorenzo a Firenze, 1421-1442, in: Prospettiva 75-76, 1994, S. 85-99; Il capitolo di San Lorenzo nel Quattrocento. Convegno di studi, Firenze, 28-29 marzo 2003 [Centro di Studi e Documentazione San Lorenzo], hg. v. Paolo Viti, Florenz 2006 (Biblioteca dell'Archivum romanicum, Ser. 1, Storia, letteratura, paleografia; 325); Arnaldo Bruschi: Filippo Brunelleschi, Mailand 2006, S. 108 ff.

[5] Pier Nolasco Cianfogni: Memorie istoriche dell'Ambrosiana R. Basilica di San Lorenzo, Florenz 1804, S. 231.

[6] Siehe die von Roselli 1979 (wie Anm. 2), S. 94 f., publizierten Dokumente.

[7] Vgl. Elam 1992 (wie Anm. 4), S. 184, doc. A.

[8] Aus diesem Grund schreibt Cohen, wie schon erwähnt, den Entwurf auch der Alten Sakristei Dolfini zu. – Dagegen überrascht es in höchstem Maße, dass Saalman 1993 (wie Anm. 4), S. 113, diesen evidenten Zusammenhang nicht zu sehen scheint: »It was as Giovanni's chosen architect of the projected sacristy that Brunelleschi entered the picture.«

[9] Wenn Saalman 1993 (wie Anm. 4), S. 161, von der »dedication of the half completed church in 1461« spricht, fragt man sich, worauf er diese erstaunliche Behauptung stützt.

[10] Siehe dazu seine aussagekräftigen Abbildungen, Cohen 2008 (wie Anm. 1), Abb. 5-8.

[11] Roselli 1979 (wie Anm. 2), S. 41, denkt aufgrund der späten Daten für die Seitenschiffskapellen, denen auch er Aufmerksamkeit schenkt, »a una graduale trasformazione della vecchia chiesa che a un certo punto doveva fare tutt'una con la nuova«. Höchst erstaunlich ist dann seine Erwägung: »Se così fosse c'è da pensare che i muri della navata maggiore della chiesa attuale siano gli stessi della vecchia chiesa e le cui pareti esterne siano state man mano ›forate‹ per costruire le cappelle laterali.«

[12] Saalman 1993 (wie Anm. 4), S. 195.

[13] Antonio Manetti: Vita di Filippo Brunelleschi, hg. v. Howard Saalman, Mailand 1976, S. 107.

[14] Manetti ist auch sonst unzuverlässig, er schreibt Giovanni de' Medici Teile am Bau zu, die erst unter der Veranwortlichkeit Cosimos ausgeführt wurden.

[15] Piero Ginori Conti: La basilica di San Lorenzo di Firenze e la Famiglia Ginori, Florenz 1940, S. 52 ff., S. 169. – Pacciani 1990 (wie Anm. 4), S. 94.

[16] Elam 1992 (wie Anm. 4), S. 174, 158. – Auch Saalman 1993 (wie Anm. 4), S. 188, und Cohen 2008 (wie Anm. 1), S. 23, schreiben Cosimo den Neubau des Langhauses zu.

[17] Elam 1992 (wie Anm. 4), S. 159, 174.

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Empfohlene Zitierweise

Herzner V.: »How much Brunelleschi?«. Matthew Cohen und sein Phantom-Architekt von San Lorenzo in Florenz. In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-26 (urn:nbn:de:0009-23-18120).  

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Kommentare

  1. Niebaum, Jens | 06.08.2009

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