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Segelschiffe und Wasserfahrzeuge aller Arten dienen in vielen Gemälden und Zeichnungen Pieter Bruegels d. Ä. der atmosphärischen Entwicklung räumlicher Tiefe in vielfältigen Küsten- und Flussansichten. Ob wie im Wiener Turmbau zu Babel im Mittelgrund ankernd, im Düsteren Tag vom Sturm gebeutelt (Abb. 1), in der Kornernte eine ferne Bucht akzentuierend (Abb. 2) oder hinter den Zwei Affen die Schelde vor Antwerpen befahrend (Abb. 3): Sie waren bis auf den Zweimaster im angezweifelten Ikarussturz immer einem größeren landschaftlichen Entwurf untergeordnet. Selbst für die großformatige Seeschlacht in der Meerenge von Messina, herausragender Auftakt einer Reihe von Frans Huys für Hieronymus Cock und andere Verleger gestochener Schiffsdarstellungen, beansprucht der übergeordnete landschaftliche Bezug Gültigkeit, hier sogar mit chorographischer Präzision. Man könnte alle diese Schiffe zwar für Überlegungen zur hypothetischen Attribuierung eines gemalten Gemäldes (Tüchleins?), der Schiffe in ruhiger See, nutzen, von vornherein klarzustellen wäre aber, dass diese nicht als ›Seestücke‹ gemalt wurden. Nach Manfred Sellinks Katalog von 2007 kann es generell nicht als sicher gelten, dass Bruegel zu dieser sich später etablierenden Gemäldeklasse überhaupt etwas beigetragen hat; gleichwohl hat der selbe Autor im Ausstellungskatalog Pieter Bruegel: Drawings and Prints, Rotterdam und New York 2001 (hg. v. Nadine Orenstein, Nr. 85, 89-95), die von Frans Huys gestochenen Segelschiffe ausführlich gewürdigt, um sie schließlich als Entwürfe Pieter Bruegels höher zu bewerten als die Forschung vor ihm dies getan hatte. Dabei sind heute keine Zeichnungen erhalten und wiederholt wurde auf Schwächen im Entwurf hingewiesen (Sellink 2007, X7, S. 275).  [1] Die Voraussetzungen für eine Zuschreibung der gemalten Wiedergabe eines möglichen Originals sind also denkbar schlecht; erforderlich wären genauere, auch technisch fundierte Kenntnisse über die kleine Gruppe früher ›Seestücke‹, allen voran eine Untersuchung der Echtheit der kleinen Tafel der Galleria Doria Pamphili, Seeschlacht vor dem Hafen von Neapel (von der zuletzt nicht einmal mehr das seltene Format sicher gewesen zu sein scheint: bei Sellink 2007, S. 275, nur noch 42 x 47 cm statt 39,8 x 69,5 cm).

1 Pieter Bruegel d. Ä.: Der düstere Tag, 1565, Öl auf Holz, 118 x 163 cm, Detail
Wien, Kunsthistorisches Museum

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Den Impuls zur Verselbständigung von Einzelmotiven oder ›Beiwerk‹ aus großformatigen Tafelgemälden kann man in Bruegels Œuvre mehrfach nachvollziehen, sei es die Alte Bäuerin in München, die Dagmar Hirschfelder zuletzt nicht als tronies betrachtet, aber doch zu deren Vorgeschichte gezählt hat,  [2] die Zwei Affen aus Berlin oder auch die verkrüppelten Bettler im Louvre. Zu diesen drei auf Holz gemalten Bildern, die ungefähr halb so groß sind wie das durch Inventareinträge dokumentierte Schiffe in ruhiger See gibt es jeweils – unterschiedlich ferne – Vorstufen in der Dulle Griet, dem Karnevalsbild, der Kornernte und anderen Werken Bruegels. Bei jeder dieser Ausschnittbildungen und Vergrößerungen hat man auf je eigene Charakteristiken eines Zugewinns durch Einzeldarstellung, ja auf künstlerisches Interesse und seine Poetologie hinweisen können, weil sie nicht wiederholend sind. Bei Jans (?) kleinformatig von schräg rechts abgemalten Segelschiffen verhält sich dies eindeutig anders, stehen sie doch Huys’ ankernden Kriegsschiffen mit gerafften Segeln nahe (New Hollstein Dutch, Bruegel: Nr. 68), auf die Grimm mit Abbildung hinweist. Die motivische Nähe zu Huys’ gedruckten Segelschiffen ist deshalb problematisch, weil Bruegels Fähigkeit und Lust zu Variation statt Wiederholung sich sowohl in den zahlreichen Nebenszenen als auch in den selteneren Auskopplungen aus den eigenen Werken deutlich ausspricht. Es lässt sich als Auffälligkeit festhalten, dass Druckgraphiken nur dann den Gemälden Bruegels ähneln, wenn sie von Dritten nach dem Gemälde angefertigt wurden wie beispielsweise Christus und die Ehebrecherin von 1579 (New Hollstein Dutch, Bruegel A2). In diesem Feld wäre weiter zu erörtern und auszuführen, wie und warum sich das gemalte Seestück in Bruegels Œuvre fügen sollte, und dafür wäre sicherlich eine genauere Beschäftigung mit allen Segelschiffen des alten Bruegel notwendig gewesen. Eine Zuschreibung eines repräsentierten Gemäldes durch die Zugehörigkeit zu einem ›Bildtyp‹, den man einerseits bei Bruegel beginnen lässt, andererseits für das frühe 17. Jahrhundert als fest etabliert ansieht – wie könnte sonst von ›Bildtypen‹ die Rede sein? –, erscheint mir nicht sinnvoll. In der Bearbeitung von Objekten aus der Zeit nach Etablierung der Druckgraphik sollte streng auf den mechanischen Aspekt jeglicher ›Typik‹ und behaupteter Bildtypik geachtet werden, wozu Nachweise oder zumindest Überlegungen zur materiellen Transmission gehören.

2 Pieter Bruegel d. Ä.: Die Kornernte, 1565, Öl auf Holz, 119 x 162 cm, Detail
New York, The Metropolitan Museum of Art

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Aus den zwei Inventareinträgen von 1607 und 1640 auf Identität und Echtheit respektive auf die erkennbare und zu Ehren gebrachte Autorschaft Bruegels d. Ä. zu schließen, ist zwar möglich, aber es muss erwähnt werden, dass Bruegels Werke schon kurz nach seinem Tod 1569 nachweislich sehr gesucht und selbst für Granvella kostspielig, vielleicht sogar zu teuer waren, was sowohl Kopien seiner Söhne als auch Falschzuschreibungen lukrativ gemacht hatte. Für die Grimmsche Lesart als Widmung beziehungsweise Hommage an den Vater wäre jedenfalls die Wiedergabe (einer der zahlreichen Kopien?) der beliebtesten Sujets wie Anbetung der Könige im Schnee, Sprichwörterbild, Bethlehemitischer Kindermord oder Volkszählung oder ein anderes der sehr beliebten Schneebilder naheliegender und vor dem zeitgenössischen Publikum erfolgversprechender, weil lesbarer gewesen. Dass Jan ausgerechnet mit einem Gemälde von Segelschiffen an seinen Vater erinnern sollte, das er im Unterschied zu zahlreichen größeren Bildern im Bild schräg stellte und vor das er ein Äffchen mit zwei Brillen setzte, wäre zumindest einen Ironie-Verdacht wert, der sich im Ensemble der Allegorie des Sehsinns zu bewähren hätte. Wüssten wir heute, dass sich auch die Zwei Affen von 1562 (Abb. 3) in Peter Paul Rubens’ Kunstbesitz befunden haben,  [3] wäre das allegorisch so naheliegende Spiel mit Sehsinn, Sehhilfen und Sinnestäuschungen als bildliche Interpretation dieses Kabinettstücks zu verstehen, die zugleich einen Prüfstein für die Allegorie des Sehsinns geboten hätte.

3 Pieter Bruegel d. Ä.: Zwei Affen, 1562, Öl auf Holz, 20 x 23 cm, Detail
Berlin, Gemäldegalerie

Was im Berliner Gemälde im Vordergrund mit Nussschalen, Ketten und Rotkopfmakaken materiell glaubhaft, szenisch beiläufig und ganz ohne allegorische Indexikalisierung realistisch erscheint, ist vor dem Hintergrund Antwerpens, hoch über den Lastenseglern auf der Schelde völlig unmöglich und deshalb nur dem Maler mit seiner Phantasie möglich. In der Allegorie des Sehsinns wäre dieser Zauber wieder aufgehoben worden ohne im Ensemble der fiktiven Galerie viel Aufhebens darum zu machen. Das Fernrohr, mit dem der zweite Affe sich abmüht, erzeugt eine weitere Verbindung zur Seefahrt, weshalb der Bericht von Müller Hofstedes älterer, negativer Affen-Ikonographie überrascht (erst deutlich später wird es in Galeriebildern David Teniers’ bekleidete Äffchen geben, die die Gemälde malträtieren).

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Das Interesse Bruegels an Schiffen wird von Grimm wie schon früher von Sellink 2001 und 2007 auf die Bedeutung des Seehandels für Antwerpen zurückgeführt. Der Verkaufserfolg mag im identifikatorischen Angebot an die vom Handel abhängigen Eliten gegründet haben. Ein besonderes künstlerisches Interesse scheint indes in der Folge der Segelschiffe von Huys nicht nachweisbar, mal segeln Lastensegler ohne Besatzung dahin, mal erscheint die Takelage im Verhältnis zur Größe auf dem Blatt unausgearbeitet und die Besatzungen – anders als im umstrittenen Ikarussturz wenig motiviert. Natürlich stehen auch die seltenen Äffchen in dieser frühkapitalistischen Kolonialtradition, die von Matt Ethan Kavaler unter der Überschrift Parables of Order and Enterprise am ausführlichsten auf Bruegels Innovationen bezogen wurde;  [4] zu erörtern wäre in diesem kulturgeschichtlichen Rahmen die Frage, ob sich von Bruegels Tagen bis zum ersten Viertel des 17. Jahrhunderts bezüglich solcher Waren die Wahrnehmung nicht bereits geändert hatte. Im Panoptikum der Sinne drückt sich eine Überbietungsästhetik aus, die nichts mit der konzentrierten und fokussierenden Kunst Bruegels d. Ä. – später Nachhall der devotio moderna? zu tun hat. Wer diesem Befund eines grundlegenden Unterschieds zustimmt, welcher einhergeht mit den unsicheren Kenntnissen über Segelschiffe im Œuvre Bruegels d. Ä. und der Möglichkeit Jans, sich darauf ironisch zurückzubeziehen, der wird sich eine Entscheidung für eines der beiden Themen wünschen: Entweder das Problem des verlorenen Gemäldes Schiffe in ruhiger See weiterverfolgen, wofür zuerst die eigenhändigen Segelschiffe Bruegels d. Ä. ausführlich zu behandeln und materiell zu untersuchen sind, oder den Status und die Bedeutung eines unterstellten Zitats in der Kollektivallegorie Allegorie des Sehsinns, seine Bildtradition und die weiteren Anleihen von der Hand und aus den Repertoires anderer Malerkollegen erarbeiten. Schließlich haben viele andere aus Rubens’ Umkreis und Werkstatt auch Schiffe gemalt.

 



[1] Die Nähe zu den gedruckten Segelschiffen, Härte der Pinselstriche und schwacher Hintergrund lassen Sellink zu einer Abschreibung tendieren und genauere gemäldetechnische und kennerschaftliche Untersuchungen fordern; unverständlich im gleichen Zusammenhang allerdings, warum neuerlich der Seesturm des KHM Wien, Inv.nr. 2690, erörtert wird, obwohl Klaus Demus im Sammlungskatalog Flämische Malerei von Jan van Eyck bis Pieter Bruegel d. Ä., Wien 1981, S. 128-136, das Gemälde mit ausführlicher Argumentation Joos de Momper zuschreiben konnte.

[2] Dagmar Hirschfelder: Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Berlin 2008 (zugl. Diss. Bonn 2005), S. 58-61.

[3] Erstmals in Antwerpen nachgewiesen 1665 bei Peter Stevens (nach Rainald Grosshans, in: Gemäldegalerie Berlin: Zweihundert Meisterwerke, Berlin 1998, S. 189).

[4] Ethan Matt Kavaler: Pieter Bruegel: Parables of Order and Enterprise, Cambridge 1999, wobei die zwei Affen als »tourist attraction in Antwerp« angesprochen werden (S. 21), obgleich sie ihren Ort mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Menagerie und damit im weiteren Kontext der Gartenkultur der Renaissance hatten.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Vöhringer C.: Der alte Bruegel und die Schiffe - Anmerkungen zu Gerald Volker Grimms Überlegungen zu Bruegels verlorenen »Schiffen in ruhiger See« (Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion 2009-22). In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-40 (urn:nbn:de:0009-23-19831).  

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Kommentare

  1. Grimm, Gerald Volker | 28.07.2009

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