<1>

Martin Warnke (geb. 1937), von dem hier ein kurzer, programmatischer Text zur Relektüre präsentiert wird, gehört jener Generation an, die in den siebziger Jahren mit entschieden politischem Anspruch zur Reformierung des Faches angetreten ist. Ebenso wie Klaus Herding, Otto Karl Werckmeister oder die jüngst verstorbene Jutta Held hat er seit den siebziger Jahren immer wieder die politische Dimension von Kunst und Architektur zur Debatte gebracht und damit maßgeblich zur Formung jener kritischen Kunstwissenschaft beigetragen, die heute auch hinsichtlich ihrer theoretischen Reflektiertheit mit den anderen kulturwissenschaftlichen Fächern nicht nur mithalten kann, sondern im Zeichen des ›pictorial turn‹ einen zentralen Diskussionsbeitrag zu leisten vermag.  [1]

<2>

Zu den wesentlichen Errungenschaften dieser Generation gehört nicht nur die Erweiterung des Fragenspektrums, sondern ebenso die Ausweitung des Gegenstandsfeldes über die etablierten, kanonischen Objekte hinaus und, nicht zuletzt, die historisch-kritische Relativierung der eigenen Position – im Kontext der Geschichte des Fachdiskurses einerseits, im politischen und gesellschaftlichen Umfeld andererseits. Gewiss waren manche der einschlägigen Anliegen lange vorbereitet, wenn auch nicht unbedingt im Sinn einer kritischen Aufklärung nach dem Verständnis der späten sechziger Jahre.

<3>

Der Anspruch, mittels kunsthistorischer Arbeit in das ›Leben‹ einzugreifen, hat schon manchen Pionier der modernen Kunstgeschichte, etwa Franz Kugler, motiviert. Aber auch der notorisch ›unpolitische‹ – will heißen, sich von der Tagespolitik fern haltende – Jakob Burckhardt, Kuglers Schüler in kunsthistorischen Belangen, hat den Auftrag, zur historischen wie ästhetischen Bildung eines allgemeinen Publikums beizutragen, als politische Aufgabe wahrgenommen. Die Ausweitung des Gegenstandsfeldes kunsthistorischer Forschung über die Sphäre der ›hohen‹ Kunst hinaus auf den Bereich der alltäglichen Bildkultur ist in den Jahrzehnten um 1900 besonders von Aby Warburg vertreten worden, auf den Warnke sich, ebenso wie auf Burckhardt, immer wieder bezieht. Erwin Panofsky und andere Gelehrte aus dem Warburg-Kreis haben Aspekte dieses wesentlich auf die Erforschung der Bedeutungsdimension ausgerichteten Ansatzes weiter verfolgt.

<4>

In der Nachkriegszeit hatte man Autoren wie Warburg und Panofsky zwar nicht gänzlich vergessen, aber kaum jemand in Deutschland war sich des Potenzials des Warburgschen Ansatzes, überhaupt aber der Bedeutung ›ikonologischen‹ Fragens bewusst. Es ist maßgeblich Warnkes Verdienst, dieses Interesse wieder in den Blick der deutschsprachigen Kunstgeschichte gerückt zu haben. Erfolgreich konnte dies freilich nur im Zusammenwirken mit der langen Reihe von Weggenossen, Schülerinnen und Schülern sein, die sich als Vertreter einer progressiven kritischen Kunstwissenschaft verstanden. In diesem Kreis vertrat Warnke keine extreme, vielmehr eine vielseitig anschlussfähige Position, die er zudem brillant zu präsentieren und auch – dies ganz im Sinne Burckhardts – ohne Verlust intellektuellen Tiefgangs einem breiteren Publikum zu vermitteln wusste.

<5>

Dabei sollte nicht vergessen werden, dass der progressive Weg in den frühen Jahren oft nicht ohne Risiko für die eigene Karriere eingeschlagen wurde. Als man wagte, sich mit den Fragen nach den politischen Verstrickungen des Faches im Dritten Reich zu befassen und überhaupt mit der Relevanz des Faches und seines Gegenstandes, konnte dies von manchen der (wieder) etablierten Professoren, die sich in einen unpolitischen Argumentationsraum zurückgezogen hatten, als Provokation verstanden werden. Unproblematisch war in den fünfziger und sechziger Jahren die Beschäftigung mit den hergebrachten Fragen der stilgeschichtlichen Einordnung, der Kennerschaft, der Korpuserstellung oder die Edition und das gelehrte Studium primärer Dokumente als Formen der ›strengen‹ Wissenschaft. Zumindest indirekt – häufig aber auch explizit – damit verbunden war die auch in akademischen Kreisen verbreitete ›Würdigung‹ von meist unerklärt bleibender ›ästhetischer Qualität‹, die Konstatierung von ›Meisterschaft‹ und ›Meisterwerken‹. Diese Situation einer bloß ›affirmativen‹ Haltung erschien der ›kritisch‹ orientierten Generation unbefriedigend, blieben doch aus ihrer Sicht wesentliche Fragen – und dabei eben jene nach der politischen Relevanz des Faches ebenso wie seines Gegenstandes – ausgeblendet. Die hohe Bewertung der politischen Seite künstlerischer Produktion wurde von traditioneller orientierten Fachvertretern aber skeptisch gesehen, da man diesen Aspekt als dem ästhetischen Gegenstand sekundär erachtete.

<6>

Warnke suchte eine vermittelnde Position, ohne falsche Kompromisse einzugehen. Der Sammelband, für den er die hier vorgestellte Einführung verfasst hat, umgeht eine Debatte über die Differenzen der beiden Lager, die gleichwohl in Warnkes Text markiert sind. Der Sammelband soll beispielhaft zeigen, inwiefern die Untersuchung der politischen Dimension – hier von Architektur – fruchtbar sein kann. Er macht zudem deutlich, dass dieses Interesse keineswegs als eine Erfindung der politisch bewegten 68er-Generation gelten kann. Versammelt sind vierzehn Studien, welche sich in unterschiedlicher Weise mit der Politischen Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute, so der Titel, befassen. Ein Aufsatz von Günter Bandmann zur Ikonologie der Architektur (1951) wird als Einstieg unter der Überschrift »Begriffe und Methoden« präsentiert. Die übrigen Texte sind in Ausgestaltung des polarisierenden Untertitels Repräsentation und Gemeinschaft nach Beiträgen zur »Herrscherarchitektur« einerseits, zur »Gemeinschaftsarchitektur« andererseits geordnet. Unter den Autoren sind solche der Warburg-Linie wie Fritz Saxl (1938) und Rudolf Wittkower (1965/69) ebenso vertreten wie der umstrittene, aber einflussreiche Hans Sedlmayr mit einem Text aus dem Jahr 1959, außerdem etliche Generationsgenossen Warnkes. Am Schluss steht ein Text des Kollegen und Freundes aus der für Warnke prägenden Marburger Zeit, Heinrich Klotz, über die Ikonologie einer Hauptstadt (1978), mit dem der Sammelband unmittelbar in den politischen Debatten der Gegenwart ankommt.

<7>

Warnkes Einführung versucht die Aufsätze zusammenzubinden und zugleich in methodischer Hinsicht zu historisieren, ausgehend von der zu Beginn des zweiten Abschnitts formulierten zentralen Einsicht, dass die kunstgeschichtliche Forschung zwar in ein »eigenes System von wissenschaftlichen Methoden und Traditionen eingebunden« sei, zugleich aber darüber hinaus bestimmt »von den Vorgaben der zeitgenössischen Kunst«. In den achtziger Jahren ist dies die Rückkehr zum Interesse am Symbolischen im Zeichen der ›Postmoderne‹ in der Architektur, gemeint als Kritik eines Modernismus, der angeblich die Funktionalität des Baus, die kalte Abstraktion von jeglicher Symbolik favorisiert hätte. Hinsichtlich des systematischen Kontextes des Faches wird in kritischer Absicht die nach wie vor mächtige Tradition der stilgeschichtlichen Argumentation angezeigt, die das Ästhetische des Kunstwerks in den Vordergrund rücke, wenn nicht gar das bildkünstlerische oder architektonische Werk darauf reduziere. Im dritten Abschnitt erörterte Warnke das Verhältnis von ›ikonographischer Bedeutung‹ und ›ästhetischer Vorstellung‹, womit die Interessen zweier gegensätzlicher Fraktionen bezeichnet seien. Warnke spricht von einem »antinomischen oder kritischen Verhältnis« und anerkennt die Eigenwertigkeit einer Untersuchung der ästhetischen Dimension, die in »inhaltlichen Zwecken« nicht absorbiert sei. Doch lehnt er eine Versöhnung ab, sieht keine Perspektive einer methodischen Vermittlung von Ikonographie und Formanalyse, da, wie er sagt, »Stilanalytiker und Ikonographen Arbeitsziele verfolgen, deren Erträge sich kaum etwas zu sagen haben«.

<8>

Damit ist der methodische Stand in den frühen 80er Jahren (das Vorwort datiert vom Dezember 1983) treffend bezeichnet. Es ist kaum übertrieben, von einer Verhärtung der Fronten in diesen Jahren zu sprechen mit den polaren Positionen der »politischen Ikonographie« einerseits, der »Hermeneutik« andererseits. Die damals – auch aus ideologischen Gründen – unvereinbar erscheinenden Ansätze zu verbinden hat sich aber in der Folge als fruchtbare Herausforderung erwiesen: Das Problem der Vermittlung von ästhetischer Wirkung oder Erfahrung mit der Dimension der Bedeutung, überhaupt die Art und Weise, wie sich Bedeutung im visuellen Bereich konstituiert und – politisch ebenso wie ästhetisch – wirksam wird, ist heute eine der zentralen Fragen bildwissenschaftlich orientierter Kunstwissenschaft. Die Untersuchung von Funktionsweisen des ›Bildes‹, überhaupt die Thematisierung ›visueller Kultur‹ implizieren die Berücksichtigung der politischen Relevanz von Kunst, Architektur und anderen Formen visueller Gestaltung, geht es doch darum, zu zeigen, inwiefern bildnerische und architektonische Gestaltung in die öffentlichen Belange einer Gesellschaft eingreift und die Ordnung der Gesellschaft nicht etwa nur abbildet, sondern maßgeblich mitgestaltet.



[1] Vgl. beispielhaft einige jüngere Beiträge zum Thema: Martin Warnke (Hg.): Politische Kunst. Gebärden und Gebaren, Berlin 2004; Otto Karl Werckmeister: Der Medusa-Effekt. Politische Bildstrategien seit dem 11. September 2001, Berlin 2005; Ursula Frohne u. Jutta Held (Hg.): Politische Kunst heute, Göttingen 2008. Politische Bildphänomene bzw. politische Kommunikation mittels visueller Medien untersuchen inzwischen verstärkt auch die Geschichtswissenschaften. Vgl. hier z. B.: Rolf Reichardt, Rüdiger Schmidt u. Hans-Ulrich Thamer (Hg.): Symbolische Politik und politische Zeichensysteme im Zeitalter der französischen Revolutionen (1789-1848), Münster 2005; Gerhard Paul: Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Locher H.: Martin Warnke - Kunstgeschichte des Politischen. Zur ›Einführung‹ in den Sammelband »Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute - Repräsentation und Gemeinschaft« (Köln 1984, S. 7-18). In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-42 (urn:nbn:de:0009-23-20177).  

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Artikels die exakte URL und das Datum Ihres letzten Besuchs bei dieser Online-Adresse an.

Kommentare

Es liegen noch keine Kommentare vor.

Möchten Sie Stellung zu diesem Artikel nehmen oder haben Sie Ergänzungen?

Kommentar einreichen.