1

<1>

Eine Architektur, die Botschaften verkündet, schien lange einem überwundenen Stadium alteuropäischer Kunstgeschichte anzugehören. Wenn selbst schon das Ornament ein Verbrechen war, dann um so mehr eine Architektur, die über ihren Zweck hinaus erzieherische Parolen auszugeben hatte. Als das Bauhaus den Affekt gegen die bedeutungsbefrachtete, durch hohle Gesten erschöpfte Baukunst in ein ästhetisches Programm umsetzte, das sich bald zu einem ›Internationalen Stil‹ entwickelte, da schien der Geist des Jahrhunderts auf den ästhetischen Begriff gekommen zu sein. Alles, was sich nicht auf seiner Höhe bewegte, was sich neben oder gegen ihn sträubte, erschien als ein nachhinkendes Überbleibsel aus den Zeiten zweckentfremdeter Baukunst.

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Erst als sich ein allgemeines Unbehagen an den Folgeerscheinungen funktionalistischer Architektur ausbreitete, wurde man wieder aufmerksam auf die Neben- und Gegenströmungen in der Architekturentwicklung dieses Jahrhunderts.  [1] Sie hatten sich in den Vordergrund gedrängt in den totalitären Regimen, die immer auf Bedeutungsarchitekturen angewiesen zu sein glaubten. Die Architektur unter dem Nationalsozialismus wurde ein Gegenstand seriösen wissenschaftlichen Interesses.  [2] Auch wenn dieses Interesse mit entschiedener kritischer Distanz gepaart war, signalisierte es doch die Bereitschaft, nichtfunktionalistische Baukonzeptionen wahrzunehmen.

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Die Allgegenwart der Bauhauskultur hat auch leicht übersehen lassen, daß es bald nach dem Kriege schon wieder Bedeutungsarchitekturen gegeben hat. Der ›plastische Stil‹ des späteren Corbusier verdichtete sich 1950/54 in Ronchamp zu einer tiefgründigen expressiven Gestalt. Für Brasilia entwarf 1957 Lucio Costa einen Grundriß in Gestalt eines Vogels, der den Fortschritt gleichsam auf den Flügeln trug. In Berlin ließ Hans Scharoun seinen ›organischen Stil‹ 1960/63 ausdruckshaft in der Philharmonie Gestalt gewinnen. In der DDR entwickelte Hermann Henselmann seit 1966 die Theorie der sprechenden Stadtdominante, welche Leipzig das Universitätsgebäude in Form eines aufgeklappten Buches, Rostock ein Kulturhaus in Form eines Segels, Jena ein Zeiss-Hochhaus in Form eines Fernrohrs bescherte.  [3] Es gab also immer auch eine gewisse Bedeutungsanfälligkeit der Architektur. Als dann die siebziger Jahre eine beispiellose Restaurationswelle in alten Stadtkernen brachten und eine unbefangene Rehabilitation gründerzeitlichen Salonstucks das rationalistische Bauen vollends desavouierte, da waren gleich bauästhetische Theorien und Praktiken zur Stelle, die dem neuen Geschmacksbedarf entgegenkamen. Unter dem Kampfruf einer ›postmodernen Architektur‹ kamen wieder die alten Tugenden einer gepflegten ›Formensprache‹, die sich auch am Klassizismus schulte, ins Spiel. Architektur will plötzlich wieder reden, zitieren, bedeuten und unterhalten.  [4]

<4>

In der Malerei hat es eine entsprechende Entwicklung der Ansichten gegeben. Lange hatte es so geschienen, als sei die abstrakte Malerei der Endpunkt eines langen Weges hin zur reinen, autonomen Form. Dann kamen die figurativen Leinwände der Pop Art und bald auch immer neue Realismuswellen. Von ihnen her hat sich der Blick zurück erweitert und in der Malerei des 20. Jahrhunderts breite Strömungen gegenständlicher, realistischer Bestrebungen entdeckt; auch hierbei geriet die nationalsozialistische Malerei neu ins Blickfeld.  [5]

<5>

Der revisionsbereite Rückblick hat jedoch den Klassikern der avantgardistischen Moderne neue Seiten abgewonnen. Ihre Werke gewannen an Bedeutungstiefe. Gropius' Architekturen sah man das Pathos, die erzieherischen Absichten an, und in Mies van der Rohes Spätwerk sah man die Klassizität eines Schinkel und Goethe ebenso wie die Philosophie Wittgensteins wirksam werden.  [6] Reine Zweckarchitektur, schiere Bedeutungslosigkeit, glaskalten Rationalismus strebten, so scheint es, nur die zynischen und zweitrangigen Architekten und Bauherren an.

2

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Die kunstgeschichtliche Forschung ist zwar in ein eigenes System von wissenschaftlichen Methoden und Traditionen eingebunden, doch ihre Wertvorstellungen, Vorlieben und Probleme sind darüber hinaus bestimmt von den Vorgaben der zeitgenössischen Kunst. Dem Programm einer bedeutungsfreien Architektur entspricht in der Kunstwissenschaft eine Wahrnehmung, die vor allem an der ästhetischen Erscheinung der Architektur interessiert ist. Die Fähigkeit, Bauwerke vergangener Jahrhunderte unabhängig von ihren Funktionen und Bedeutungen als Ausfluß eines Kunstwollens zu sehen, das Räume und Wände, bauliche Massen und Flächen, Körper und Glieder nach Maßgabe eines stilistischen Wahrnehmungsbedürfnisses strukturiert, darf den gleichen Rang beanspruchen wie die Fähigkeit, einen Bau ohne Ornament oder ein Bild ohne Gegenstand zu verwirklichen. Heinrich Wölfflin hat dieser kunstwissenschaftlichen Fähigkeit sowohl auf dem Gebiet der Malerei wie der Architektur zum Durchbruch verholfen. Seither war es möglich und üblich, Kirchen, Paläste, Schlösser und Burgen ohne Rücksicht auf ihre historische Bedingtheit und inhaltliche Aussageabsicht als reine Formereignisse zu sehen. Die Kriterien und Begriffe, die dabei zur Anwendung und bald auch zur Abspulung kamen, lassen sich durchaus mit den ästhetischen Begriffen vergleichen, die damals gebaut wurden; noch Hans Jantzens Analyse der ›diaphanen Wandstruktur‹ gotischer Architektur hat eine eigentümliche Verwandtschaft mit den dünnrippigen Glasvorhängen an den Bauten Mies van der Rohes.  [7]

<7>

Ebensowenig jedoch, wie die Bauhausarchitektur oder die abstrakte Malerei aus heutiger Sicht die allein gültigen Tendenzen der künstlerischen Entwicklung waren, ebensowenig hat die Form- oder Stilanalyse alle methodischen Alternativen der Kunstwissenschaft außer Kraft gesetzt. In der privaten Bibliothek Aby Warburgs und von ihr ausstrahlend sind gegen die reine Stilgeschichte gewichtige Argumente und Forschungsergebnisse erarbeitet worden, die gegen die Sehgeschichte eine Kulturgeschichte setzten, welche den inhaltlichen, bildungsgeschichtlichen, themen- und bedeutungsbestimmten Traditionsvorgaben ein neues Gewicht verliehen. Der wahrnehmenden Anschauung, die sich selbst in immer neuen Begriffen stillegte, wurde eine begriffliche Denkentwicklung gegenübergestellt, die in den Kunstwerken ihre anschauliche Umsetzungsfähigkeit erprobte.  [8] Auf die Architekturforschung griff dieser Ansatz erst relativ spät über. Der hier abgedruckte Aufsatz von Fritz Saxl ist wohl überhaupt der einzige Fall, daß sich aus dem engeren Kreis um Warburg jemand zur Architektur geäußert hat. Sachlich wie methodisch grundlegend war dann Richard Krautheimers Aufsatz in der Zeitschrift des Warburg-Instituts über die mittelalterliche Architekturikonographie (1942), worin aufgezeigt wird, daß die häufigen Architekturkopien im Mittelalter nicht eine Stil-, sondern eine Bedeutungsübertragung vollziehen.  [9] Nicht zufällig kam die Architekturikonographie zuerst an mittelalterlicher Architektur zu schlüssigen Ergebnissen. Denn eine theologisch bestimmte Sicht hatte dem Mittelalter immer schon kaum etwas anderes zugetraut, als daß es jegliche Tätigkeit mit theologischer Bedeutung auflud. So hatte Josef Sauer schon 1924 die Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters untersucht. Hans Sedlmayr, der 1948 die Auffassung von der Architektur als abbildende Kunst skizziert hatte, hat dann zwei Jahre später in seinem Buch über die Kathedrale, die er als ein Abbild des Himmlischen Jerusalem deutete, diesen Ansatz zu einem heftig umstrittenen Höhepunkt geführt.  [10]

<8>

Waren die für die mittelalterlichen Kirchengebäude erschlossenen Bedeutungen lange auf einen theologischen Rahmen eingeschränkt, so traten doch bald auch die politischen Interessen an den Bauwerken zum Vorschein. Hatte Hans Gerhard Evers 1939 in seinem Buch über Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur die politischen Implikate noch in einer universalhistorischen Sicht allgemein gelassen, so hat doch Sedlmayr mit seinem Vorschlag, die »Kathedrale als Königskathedrale« zu sehen, eine genauere Bestimmung zur Diskussion gestellt.  [11] Mit André Grabars groß angelegtem Buch über das Martyrium (1946) und E. Baldwin Smith' Buch über die Kuppel als imperiales Symbol (1950) waren gattungsmäßige und motivische Einzelbereiche der spätantiken und mittelalterlichen Architektur als politische Bedeutungsträger erschlossen.  [12] Eine Zusammenfassung und eine programmatische Wendung erhielten diese Ansätze in dem Buch von Günter Bandmann über die Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger (1951), worin das ganze Spektrum politischer Interessen, insbesondere der kaiserlichen, in die Dispositionen und Dekorationen mittelalterlicher Architekturen hineingetragen ist.  [13] Das Interesse an der politischen Symbolsprache mittelalterlicher Architektur konnte bald auch mit der Anteilnahme der Historiker rechnen, die mit Percy Ernst Schramms Forschungen zu den mittelalterlichen Herrschaftszeichen den geschichtlichen Quellen- und Aussagewert der künstlerischen Überlieferung entdeckten.  [14]

3

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Diesen architekturikonographischen Vorstößen blieb immer das Problem gestellt, wie sie ihr Verhältnis zur formalästhetischen Sehweise bestimmten. War die ästhetische Erscheinung und die stilgeschichtliche Entwicklung einer Eigengesetzlichkeit unterworfen, die auch einen entsprechenden methodischen Zugang rechtfertigte, oder war sie ebenfalls noch bedeutungsträchtig und somit den jeweiligen politischen Interessen subsumierbar?

<10>

Zunächst hatte man angenommen, daß im Mittelalter die Bedeutungen den Bauten und ihren Elementen nachträglich übergestülpt worden seien. So wie die Allegorese vorgegebene Tatbestände der Natur oder des alltäglichen Lebens mit Bedeutungen belegt, so wären vorhandene Bauformen mit Sinn befrachtet worden. Mit wachsender Kenntnis und Einsicht fühlte sich die Forschung berechtigt, die Sinngebung als eine vorgängige und formbestimmende Komponente des Bauvorhabens wirksam zu sehen. Für Sedlmayr ist die Vorstellung vom Himmlischen Jerusalem anschaulich in die Gestalt der Kathedrale eingegangen. Erwin Panofsky hat die Struktur des gotischen Pfeilers als einen Nachvollzug scholastischer Denkakte gedeutet, und Otto von Simson hat in den Proportionen der Kathedrale die Zahlenspekulation der platonischen Philosophie aus der Schule von Chartres gegenwärtig gesehen.  [15] In solchen Versuchen erscheinen Inhalt und Form zusammengezogen; das Sehen hat auch den Sinn mit zu erfassen. Ein wesentlicher Impuls der Stil- und Formanalyse, die ästhetische Erfahrung von der Bedeutungslast zu befreien, war damit rückgängig gemacht; die Form war von den historischen Bedingungen wieder eingeholt.

<11>

Trotz der bestechenden Deutungsangebote, welche die Formen an einen historisch einmal gültigen Sinn zurückbinden, darf man doch fragen, ob die ästhetische Erfahrung sich eine solche Rückführung auf geschichtlich erledigte Bedeutungen gefallen lassen muß. Daß die Bauten entfernter Jahrhunderte ganz unabhängig von einem ikonographischen Vorwissen ›ansprechen‹ können, muß nicht nur einer unhistorischen Naivität zugute gehalten werden, sondern kann auch einer historischen Leistung jener Baukunst gerecht werden. Daß Form und Inhalt sich immer bruchlos zu einem geschlossenen Gehalt vereinen müßten, ist ein jüngeres theoretisches Postulat, das auch durch rezeptionsgeschichtliche Tatsachen kaum gestützt wird. Eine ästhetische Form, die sich in der Darstellung eines zeitgenössischen Inhaltes erschöpfte, wäre mit diesem zugleich auch erledigt und vermöchte nicht noch spontan Gefallen zu erregen. Deshalb ist es naheliegender, das Verhältnis zwischen ikonographischer Bedeutung und ästhetischer Vorstellung als ein antinomisches oder kritisches Verhältnis so stehen zu lassen, wie es sich auch methodengeschichtlich ergeben hat, indem Stilanalytiker und Ikonographen Arbeitsziele verfolgen, deren Erträge sich kaum etwas zu sagen haben. Dieser Tatbestand kann eigentlich nur bedeuten, daß die ästhetischen Formen, sofern sie sich nicht von inhaltlichen Zwecken absorbieren ließen, objektiv etwas geleistet haben, was den aktuellen Bedeutungs- und Funktionszusammenhang sprengte; daß in die Formen Bedürfnisse und Vorstellungsziele eingegangen sind, die durch die je gültigen theologischen oder politischen Sinnvorgaben nicht einzuholen waren.  [16] Die beiden methodischen Zugänge, die Formanalyse und die Ikonographie, müssen nicht voneinander getrennt und nicht miteinander versöhnt werden; wenn sie kritisch gegeneinander stehen, werden sie der besonderen Leistung ihrer Gegenstände vielleicht am ehesten gerecht. Die Rekonstruktion der Bedeutungsabsichten, die etwa Bauherren mit einer Architektur verfolgten, ist notwendig, nicht damit sich die ästhetische Erfahrung in Einklang, sondern damit sie sich in Differenz zu jenen Absichten bringen kann: Im Bewußtsein dieser Diskrepanz erfährt sie ihre historische Berechtigung und ihren aktuellen Sinn.

4

<12>

Die in diesem Band zusammengestellten Aufsätze sollen einige Aspekte des politischen Bedeutungsumfangs, in dem Architektur wirksam werden kann, belegen. Sie sollen nicht einen Forschungsstand repräsentieren, sondern ein Problemfeld bestimmen helfen. Die Auswahl, in der manch wichtiger Beitrag vermißt werden kann,  [17] berücksichtigt eine regional gestreute Reihe von Beispielen, die in der Mehrzahl aus der Neuzeit stammen, da es für sie noch nicht, wie für das Mittelalter, größere zusammenfassende Darstellungen und ausgefeilte Kriterien gibt.

<13>

Es lassen sich einige allgemeine Gesichtspunkte benennen, die eine Architektur zu einem politischen Faktor werden lassen:

<14>

  • Bauen hat zu allen Zeiten politisches Gewicht schon dadurch gewonnen, daß es einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor darstellte. Diese Funktion ist auch heute noch allen politischen Instanzen geläufig. Bauinvestitionen konnten Konjunkturen beleben. So häufig etwa Fürsten vorgehalten wurde, sie vergeudeten durch ihre Bauwut private oder öffentliche Gelder, so klar war doch auch bewußt, daß durch eine rege Bauaktivität den Untertanen Verdienstmöglichkeiten geschaffen wurden: »Denn er war ein friedlicher Fürst«, schreibt Spalatin von Friedrich dem Weisen, »und der es dafür hielt, daß man viel armen Leuten damit dienet, wenn man bauet«. Das Bauen, so erklärt um 1460 Filarete dem Mailänder Herzog, sei ebenso ruhmvoll wie nützlich, da es Gelegenheit biete, »seinen Reichtum vielen zugute kommen zu lassen, die sonst zugrunde gingen«.  [18] Die Fürstenstaaten haben ihr Interesse am Bauwesen in großen allzuständigen Hofbauämtern institutionalisiert, und der bürgerliche Staat hat diese Zuständigkeit in entsprechenden Bauministerien oder -behörden ebenfalls wahrgenommen.

<15>

  • Eine elementare politische Aufgabe wächst der Architektur dadurch zu, daß sie faktisch oder scheinbar die Sicherheit politischer Machtträger gewährleistet. Sobald die Architektur nicht mehr nur gegen die Unbilden der Natur schützen, sondern Personen oder Institutionen nach innen oder nach außen sichern soll, ist sie von politischer Relevanz. Wehrkirchen, Burgen, Stadtmauern, Wachtürme, Graben, Wälle und Bunker, Geschlechtertürme, Sockelgeschosse mit Buckelquadern, Portale und Eisengitter, dies sind nur einige Stichworte für die vielfältigen Sicherheitsaufgaben, die durch die Architektur wahrgenommen werden. Psychologische Abwehrstrategien und Einschüchterungen haben dabei immer eine Rolle gespielt. Jacob Burckhardt hat das bekannte Räsonnement Papst Nikolaus' V. auf dem Sterbebett so resümiert: »Das monumentale Bedürfnis der Kirche, nicht in betreff der Gelehrten, welche Entwicklung und Notwendigkeit der Kirche auch ohne Bauten verständen, wohl aber gegenüber den ›turbae populorum‹, welche nur durch Größe dessen, was sie sähen, in ihrem schwachen und bedrohten Glauben bestärkt werden könnten. Dazu dienten besonders ewige Denkmäler, die von Gott selbst erbaut schienen. Die Festungen im ganzen Staat habe er errichtet gegen Feinde von außen und gefährliche Neuerer im Innern.«  [19] Gegen diese ohne weiteres einleuchtende Einschätzung wendet sich schon früh eine scharfsinnige Kritik, die geltend macht, daß die gebaute Sicherung das Ausmaß der herrscherlichen Unsicherheit offenbare: »Es gibt für einen Herrscher«, so schreibt 1225 Thomas de Gatta an Kaiser Friedrich II., »keine bessere Verteidigung als die Liebe der Untertanen. Wenn die Herzen der Untertanen dem Fürsten aufrichtig zugetan sind, dann übertrifft dies alle Burgen und Heere. Wohltat und Milde taugen besser zur Verteidigung als die Burgen. Denn es gibt nur eine uneinnehmbare Festung: die Liebe der Untertanen.« Alberti und Machiavelli haben diese Argumentation wieder vorgetragen und vielleicht mit dazu beigetragen, daß die Sitze der Herrscher in der Neuzeit sich immer ›offener‹ gaben.  [20]

<16>

  • Architektur kann explizit zu einer politischen Demonstration genutzt werden, indem durch sie Machtverhältnisse zum Ausdruck gebracht werden. Die Erscheinungsformen dieser demonstrativen Funktion sind vielfältig. Die geläufigste Art, eine soziale oder politische Überlegenheit geltend zu machen, ist das Imponieren durch quantitative Größe. Personale oder institutionelle Präponderanz tritt am einfachsten in Erscheinung, indem der Bau seine Nachbarbauten, die ganze Stadtsilhouette oder auch eine ganze Landschaft überragt. Öffentlichen Gebäuden wie Rathäusern, Justizgebäuden oder Parlamenten, die oft auch überregional ausstrahlen sollten, scheint eine solche Heraushebung fast natürlicherweise zuzustehen. Empfindlicher jedoch zeigte man sich immer gegenüber entsprechenden Demonstrationen persönlicher Macht. In den Städten, deren Topographie immer auch sozialpolitisch geprägt ist,  [21] hat man schon früh durch rechtliche Vorschriften nicht nur die praktischen Belange, sondern darüber hinaus die politischen Demonstrationsformen zu regeln versucht, indem man etwa Geschlechtertürme kappte oder die Anbringung von Wappen verbot oder einschränkte.  [22] In fürstlichen Städten und in absolutistischen Hauptstädten gab es Tendenzen, Erker, Balkons oder Arkaden vor Privathäusern zu verbieten, weil man sie sicherheitspolitisch für gefährlich hielt.  [23] Daß die Demonstration durch Quantität auch in demokratischen Staaten eine Rolle spielt, kann man nicht nur an kleineren Konkurrenzsituationen in Wohngebieten beobachten, sondern vor allem an dem Wettlauf um das größte Hochhaus etwa in der Frankfurter City, aber ebenso an der robusten Präsenz der Kaufhäuser in den alten Kernen selbst kleiner Städte. Machtpolitische Willensbekundungen können sich auch programmatisch äußern. Dies kann dadurch geschehen, daß der Bau in dem Sinne ›Bedeutungsträger‹ wird, daß er durch seine Gestalt Erinnerungen an signifikante Vorbilder wachruft oder durch fremde Zitate Machtansprüche anmeldet. Man nennt eine solche Architektur, die in ihrer Struktur Bedeutungen kundgibt, auch eine ›architecture parlante‹. Häufiger teilen sich Aussagen über Rechte, Anspruch und Status durch bildliche Darstellungen mit; dabei können plastischer Schmuck wie Wappen, Säulen, Reliefs oder Fresken behilflich sein.

<17>

Historisch haben sich diese politischen Äußerungsformen räumlich und zeitlich unterschiedlich ausgeprägt. Für die Neuzeit ist im Vergleich zum Mittelalter zunächst das Hervortreten einer profanen, meistens antikisch gefärbten politischen Architektursprache bezeichnend. Sie trägt dazu bei, die staatliche Sphäre als einen eigenständigen Wertebereich gegenüber kirchlichen und partikularen Traditionsbeständen aufzubauen und durchzusetzen. Dies geschieht in zwei großen Entwicklungsschüben. In einer ersten Phase repräsentiert sich der Staat in der Person eines Herrschers, auf den alle Sinnaussagen an Architekturen konzentriert sein können. In einer zweiten Phase orientiert sich die Einheit des Staates auf nichtpersonale, abstrakte Werte und Normen hin, auf ›Volk‹, ›Nation‹ oder ›Gerechtigkeit‹, wodurch die öffentlichen Gemeinschaftsbauten zu Trägern eines staatlichen Gesamtwillens werden.

<18>

Daß diese Entwicklung, die auch der Gliederung des Bandes zugrunde liegt, nur ein grobes Schema ist, wird bei der Lektüre der Beiträge bald deutlich werden. So ist beispielsweise der Herrscherpalast auf den ersten Blick der Inbegriff einer Architekturform, in der die personale Identifikation mit dem Staat Stein geworden ist. Aber schon die ersten neuzeitlichen Architekturtheoretiker wecken Zweifel: Filarete meinte um 1460, ein Fürstenpalast sei »sowohl privat, als auch öffentlich«, das erstere, weil der Fürst darin wohnt, das letztere, weil er überdies darin Staatsgeschäfte abwickelt.  [24] Auch im Herrscherpalast können also öffentliche und private, persönliche und staatliche Belange auseinandergehalten werden. Selbst die in Bauten verkörperte bürgerliche Gesamtheit ist in ihrer abstrakten Form nicht etwas ganz Neues; spätmittelalterliche Rathäuser sind repräsentative Gemeinschaftsbauten, in denen sich ein kommunales Bewußtsein nach innen und nach außen manifestiert. In den modernen Staatsbauten ist dieses kommunale Bewußtsein auf eine nationalstaatliche Ebene gehoben – ein Vorgang, für den die fürstliche Verkörperungstechnik hilfreich war: Die ersten Nationaldenkmale sind, wie Nikolaus Pevsner gezeigt hat, zugleich als Königsdenkmale konzipiert worden.  [25]

<19>

Trotz dieser Überlagerungen können die Abteilungsüberschriften »Herrscherarchitektur« und »Gemeinschaftsarchitektur« einen heuristischen Wert gewinnen, wenn sie dazu dienen, an geschichtlichen Entwicklungen nicht nur das als bemerkenswert zu erachten, was die großen Linien bekräftigt, sondern auch das, was sich ihnen widersetzt. Die Architektur freilich ist gewöhnlich nicht das Feld, in dem Abweichungen oder Verflüssigungen leicht eine Realisierungschance haben. Die oft gewaltigen Zeugnisse politischer Architektur haben ihre stabilisierende Wirkung offensichtlich nicht verfehlt. Das deutlichste Indiz dafür bietet wohl die Sprache an, die zur Beschreibung gesellschaftlicher Verhältnisse gerne auf eine Baumetaphorik zurückgreift, die Bestehendes sichert: Man spricht von der ›Basis‹ oder dem ›Fundament‹ einer gesellschaftlichen Formation, von einem ›Überbau‹ und einem ›Mittelbau‹, von den ›Säulen des Staates‹, und die Soziologie redet von einer ›Versäulung‹, wo sie schichtübergreifende Bewußtseinsphänomene gewahr wird. Immer liefern die architektonischen Metaphern Bilder für den Zustand politischer und sozialer Stabilität. Lediglich das Wort ›Fassade‹ hat, seitdem das Bauhaus dieses Architekturmotiv abgeschafft hat, einen negativen, kritischen Anklang bekommen. Vielleicht vermag manche der hier zusammengetragenen Analysen dem destabilisierenden ironischen Angriff der Umgangssprache zu Hilfe zu kommen und wenigstens Nachdenklichkeit bewirken, bevor überall Wirklichkeit wird, was die Architekturprogramme verkünden: die Rückkehr zur Fassade.

 



 *   Wir danken dem Autor für die freundliche Genehmigung zur digitalen Veröffentlichung dieses Textes.

[1] Vgl. die Textsammlung bei G. R. Blomeyer u. B. Tietze: In Opposition zur Moderne. Aktuelle Positionen in der Architektur, Braunschweig/Wiesbaden 1980.

[2] Vgl. Joachim Petsch: Baukunst und Stadtplanung im Dritten Reich, München/Wien 1976, und die Sammelbesprechung von Karl Arndt in der Kunstchronik 34, 1981, S. 285-297.

[3] Vgl. hierzu Ulrich Kuhirt (Hg.): Bildkunst und Baukunst. Zum Problem der Synthese von Kunst und Architektur in der DDR, Berlin 1970, S. 116 f., sowie den Artikel über Henselmann im Lexikon der Kunst, Bd. 2, Leipzig 1976, S. 259.

[4] Die programmatische Schrift lieferte Charles Jencks: The Language of Post-Modern Architecture, Harmondsworth 1978 (2. Aufl.). Vgl. auch die Beiträge von Heinrich Klotz, Nikolaus Kuhnert und Peter Neitzke im Jahrbuch für Architektur 1980/81, S. 7-19.

[5] Vgl. zuerst Berthold Hinz: Die Malerei im deutschen Faschismus, München 1974, den Ausstellungskatalog Kunst im 3. Reich, Kunstverein Frankfurt a. M. 1974, sowie Reinhard Müller-Mehlis: Die Kunst im Dritten Reich, München 1976.

[6] So bei Manfredo Tafuri u. Francesco Dal Co: Architektur der Gegenwart, Stuttgart/Mailand 1977, S. 346 ff.

[7] Heinrich Wölfflin: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, München 1915; Hans Jantzen: Kunst der Gotik, Hamburg 1957.

[8] Vgl. Werner Hofmann, Georg Syamken u. Martin Warnke: Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg, Frankfurt a. M. 1980.

[9] Richard Krautheimer: Introduction to an ›Iconography of Medieval Architecture‹, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 5, 1942, S. 1-33.

[10] Hans Sedlmayr: Architektur als abbildende Kunst, in: Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, Bd. 225, 3. Abh., Wien 1948, und ders.: Die Entstehung der Kathedrale, Zürich 1948. Die Diskussion über die Thesen dieses Buches wurde in mehreren Nummern der Kunstchronik 1951 ausgetragen.

[11] Hans Gerhard Evers: Tod, Macht und Raum als Bereiche der Architektur (1930), ist in zweiter Auflage 1970 erschienen. Hans Sedlmayr: Die gotische Kathedrale als Königskathedrale, wieder abgedruckt in: Sedlmayr: Epochen und Werke, Wien/München 1959, Bd. 1, S. 182-198.

[12] André Grabar: Martyrium, Paris 1946; E. Baldwin Smith: The Dome, Princeton 1950, und ders.: Architectural Symbolism of Imperial Rome and the Middle Ages, Princeton 1956.

[13] Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951. Über Bandmanns Architekturikonologie vgl. Heinrich Lützeler, in: Kunst als Bedeutungsträger. Gedenkschrift für Günter Bandmann, Berlin 1978, S. 551-572.

[14] Percy Ernst Schramm hat Sedlmayrs Entstehung der Kathedrale in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Bd. 3, 1952, S. 447, recht positiv besprochen; angeregt zeigt er sich auch in seiner Besprechung des Buches von Bandmann in: Historische Zeitschrift 174, 1952, S. 568-571. – Es lohnt sich, einige Titel zusammenzustellen, die Historiker in jüngerer Zeit zum Thema dieses Bandes beigetragen haben (unter den Autoren dieses Bandes sind Erich Maschke und Helmut Maurer Historiker): Arnold Esch: Spolien, in: Archiv für Kulturgeschichte 51, 1969, S. 1-64; Michelangelo Cagiano de Azevedo: Laubia, in: Studi Medievali 10, 1969, S. 431-463; Nicolai Rubinstein: Palazzi Pubblici e Palazzi Privati, in: Filippo Brunelleschi. La sua opera e il suo tempo, Florenz 1980, Bd. 1, S. 27-36; Barent Schwineköper: Der Marktbrunnen in Rottenburg am Neckar. Spätmittelalterliche Brunnen südwestdeutscher Städte als staatliche und städtische Hoheitszeichen, in: Landesgeschichte und Geistesgeschichte. Festschrift für Otto Herding, Stuttgart 1977 (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe 8, Forschungen, Bd. 92), S. 131-167; Henning Eichberg: Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exerzitien, in: Zeitschrift für Historische Forschung, Bd. 4, 1977, S. 17-50; Thomas Nipperdey: Kirche als Nationaldenkmal, in: Festschrift Otto von Simson, Berlin 1977, S. 412-431, und ders.: Der Kölner Dom als Nationaldenkmal, in: Historische Zeitschrift 233, 1981, S. 595-613.

[15] Erwin Panofsky: Gothic Architecture and Scholasticism, Latrobe 1951; Otto von Simson: The Gothic Cathedral. Origins of Gothic Architecture and the Medieval Concept of Order, New York 1956.

[16] Vgl. Martin Warnke: Bau und Überbau, Frankfurt a. M. 1976, S. 147 ff.

[17] Insbesondere finden Bücher wie etwa Adolf Reinle: Zeichensprache der Architektur. Symbol, Darstellung und Brauch in der Baukunst des Mittelalters und der Neuzeit, Zürich/München 1976, oder Stanislaus von Moos: Turm und Bollwerk. Beiträge zu einer politischen Ikonographie der italienischen Renaissancearchitektur, Zürich 1974, keine Berücksichtigung.

[18] Die Stelle bei Spalatin zitiert nach Robert Bruck: Friedrich der Weise als Förderer der Kunst, Straßburg 1903, S. 13 f.; Aberlino Antonio Filarete: Tractat über die Baukunst, hg. v. W. von Oettingen, Wien 1890, S. 18.

[19] Jacob Burckhardt: Die Baukunst der Renaissance in Italien. Gesammelte Werke, Bd. 2, Darmstadt 1955, S. 11.

[20] Die Nachweise bei Warnke 1976 (wie Anm. 16), S. 91, 172, Anm. 128. Ein Versuch, die Öffnung des Schloßbaus und seine Entfestigung politisch zu deuten, ist der Aufsatz von Michel Melot: Politique et Architecture. Essai sur Blois et le Blésois sous Louis XII, in: Gazette des Beaux-Arts 70, 1967, S. 317-328.

[21] Vgl. Carlo Guido Mor: Topografia Giuridica: Stato giuridico delle diverse zone urbane, in: Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo, Spoleto 1974, S. 333-350.

[22] Vgl. etwa Wolfgang Braunfels: Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana, Berlin 1953, und Roger Gand: De la signification des Initiales, Armes, Effigies et Emblèmes figurés sur les édifices civils et militaires aux XVe et XVIe Siècles, in: Mémoires de la Société Nationale des Antiquaires de France, N.S., 3, 1954, S. 263-277.

[23] Vgl. dazu Jacob Burckhardt (1955) (wie Anm. 19), S. 179 f., 256.

[24] Filarete 1890 (wie Anm. 18), S. 70 f., 73 f., 213 f.

[25] Nikolaus Pevsner: A History of Building Types, London 1976, S. 11 ff. Vgl. auch Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal, in: Historische Zeitschrift 206, 1968, S. 529-585.

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Empfohlene Zitierweise

Warnke M.: Einführung zum Sammelband »Politische Architektur in Europa vom Mittelalter bis heute - Repräsentation und Gemeinschaft« (Köln 1984, S. 7-18). In: Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2009-41 (urn:nbn:de:0009-23-20095).  

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Kommentare

  1. Locher, Hubert | 17.07.2009

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