Ed Ruschas konzeptuelle Straßenfotografie

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Meine Begegnung mit Ed Ruschas erstem Fotobuch Twentysix Gasoline Stations von 1963 bedeutete für mich, schlagartig zu verstehen, wie er mit seiner lakonischen Serialität von Momenten amerikanischer Kultur den Westcoast-Style im historischen Diskurs von Pop-, Minimal- und Conceptual art anlegte. In meiner theoretischen Projektion abstrahiert Ruscha das subjektivistisch analytische Fotobuch The Americans von Robert Frank, das als das US-amerikanische Gefühl des counterkulturellen On the road der Beatgeneration galt. In Ruschas Abstraktion wird die repetitive Tristess der alltäglichen Versorgung mit Treibstoff für das Fortbewegungsmittel und mit Nahrung für den Körper als eine subjektive körperliche Kamerafahrt auf einem ›Easy Ride‹ durch die Landschaft von Tankstellenbildern reflektiert.  [2] Auf einer solchen Reise der täglich stundenlangen Fokussierung auf das Zeichensystem der Straße treten plötzlich absolut nebensächliche Dinge ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Diesen Blick auf den kulturellen Code von Tankstellen entwickelt Ruscha nicht nur in seinem Buch, sondern auch in seinen Gemälden, indem er das alltäglich tausendfache Auftanken des amerikanischen Traums zu einer seriellen Erscheinung von Gebäuden mit unterschiedlichen Markennamen werden lässt – Beeline, Union, Standard etc. Vergleicht man das Buchlayout, fällt auf, dass die Fotografien sich zwar auf der jeweils rechten Seite abgedruckt finden wie in Büchern von Walker Evans und Robert Frank; sie weisen jedoch im Gegensatz zu diesen Orts- und Datumsangaben auf.  [3]

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Jeff Wall meint, dass die ›Straße‹ bei den Epigonen von Robert Frank zu einem »autorenfotografischen Klischee verkommen war«.  [4] Nur das bei Ruscha mimetisch vorgeführte Fotografisch-Amateurhafte, das die »Verstöße gegen die Regeln des Genres schonungslos und mit Vergnügen zur Schau«  [5] stellte, konnte jedoch eine künstlerische Differenz produzieren. In den 1940er und 50er Jahren hatten journalistische Fotografen wie Walker Evans mit Fotobüchern begonnen, sich zu Künstlern zu emanzipieren. Dies vollzogen erst Anfang der 1960er Künstler wie Andy Warhol nach, als dieser sich für die Neuauflage des heute legendären Let Us Praise Now Famous Men von Evans’ einsetzte und es so aus der Versenkung holte. Es sollte jedoch noch bis in die 1970er Jahre dauern, bis zeitgenössische Fotografie auch auf dem Markt als Kunst anerkannt wurde. Ruschas frühe Bücher versteht Wall als bewussten Missbrauch des Mediums. Es kann jedoch gefragt werden, ob dies tatsächlich zutrifft, da das künstlerische Fotobuch als Konvention zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte. Ruscha benutzt das Buch also als Ausstellungsmedium für das noch nicht etablierte Kunstmedium Fotografie, bevor eine solche Buchstrategie erst in den späten 1960er Jahren von Seth Siegelaub und Sol LeWitt als typisch für die Conceptual art definiert wurde.

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In seinen frühen Büchern eignet sich Ruscha mittels Fotografie auch Firmenlogos, Konsumprodukte und Orte an – wie es zur selben Zeit tendenziell typisch für die Pop art war –, die er in seinen Büchern in einer abstrahierenden Reihung von alltagskulturellen Situationen oder Objekten verbindet. Somit entwirft Ruscha eine Form von amerikanischem Realismus, mit dem er die Pop- ebenso wie die Minimal art kommentiert und sich gleichzeitig von ihnen absetzt. Das Ganze kann auch als ein strukturelles Roadmovie in Buchform verstanden werden, das – im Unterschied zu Franks Americans – ohne einen Plot auskommt wie auch die meisten anderen Bücher und Gemälde von Ruscha, sondern nur eine minimale Narration mittels der Serialität der Sujets andeutet.  [6] Typisch für diese Abstraktion durch Reihung ist seine an sich selbst erteilte Handlungsanweisung  [7] , mit einer semiprofessionellen Kamera dasselbe Objekt  [8] in ähnlicher Perspektive auf einem bestimmten Abschnitt einer Autofahrt fotografisch aufzunehmen und den Ausschnitt erst für die Publikation zu bestimmen. Obwohl sich das Fotobuch durch diese Vorgehensweise und seine para-ikonografische Reihung völlig konträr zu beispielsweise Walker Evans’ eher journalistischer Fotografie und Präsentationsweise verhält – indem es dramatisierende und inszenierende Effekte stark reduziert  [9] –, aber auch die fototechnische Gleichförmigkeit der Typologien von Bernd und Hilla Becher zurückweist, entmystifiziert Ruscha mit seiner simplen reduplizierten Straßenfotografie das typisch Amerikanische – dies bezeichne ich als das konzeptuell Fotografische in Ruschas Arbeit.

Momentaufnahmen, Schnappschüsse und Readymades

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Die Kuratorin Margit Rowell wiederholt im Katalog zur Ausstellung »Ed Ruscha, Photographer« die Suggestion von Sylvia Wolfs Kapitel »The Photograph as Readymade«.  [10] Diese Annahme, dass seine Fotografien als Readymades bezeichnet werden können und diese sich somit anti-narrativ und konkret verhalten, bezieht sich auf Ruschas Äußerung in einem frühen Interview mit John Coplans über sein Buch Various Small Fires and Milk: »My pictures are not that interesting, nor the subject matter. They are simply a collection of ›facts‹; my book is more like a collection of ›readymades‹.«  [11] Und bereits in der ersten, eher negativen Rezension von Ruschas Tankstellenbuch hatte Philip Leider (Artforum, Sept. 1963) eine Beziehung zu Dada und Duchamps Urinal hergestellt. Margit Rowell affirmiert nun Marcel Duchamps Notizen zu seinem Großen Glas, die 1960 auf Englisch erschienen sind. Nach Rowell bezeichnet dieser »das Readymade als das Einfangen eines Augenblicks, ähnlich einer Momentaufnahme«.  [12]

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Zwar stimmen die Übersetzungen Rowells zwischen dem englischen »capturing of a moment« sowie »snapshot« und dem deutschen »Einfangen eines Augenblicks« sowie der »Momentaufnahme« überein, doch weisen beide Versionen eine deutliche Differenz zum Duchampschen Begriff »snapshot effect« auf. Die wörtliche Bedeutung von »Schnappschuss« im Sinn einer Straßenfotografie meint, dass die Elemente Lichteinfall, Tiefenschärfe, Blenden- und Perspektivwahl etc. fototechnisch nicht komplett kontrolliert wurden. Wenn jedoch wie bei Duchamp analog zu einem »Chronometrismus« (»matter of timing«) von einem »snapshot effect« die Rede ist, erscheint die Fotografie zwar wie ein Schnappschuss, ist tatsächlich aber eine solchermaßen inszenierte, genau so, wie es für Ruschas Twentysix Gasoline Stations zutrifft. Während die Begriffe »Chronometrismus«, »snapshot« und »Momentaufnahme« eher eine schlagartige, situationelle Wahrnehmung beziehungsweise eine Fotografie meinen, die eine kurze Stimmung im Sinne eines Authentizitätseffekts einfangen, könnte es Krauss um den künstlerischen Einschreibungsaspekt im Duchamp-Zitat gegangen sein, um jene Planung eines zukünftigen Rezeptionseffekts.

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In der ›Mimesis‹ amateurhafter Fotografie bei Ruscha erkennt Wall eine »glänzend komische Leistung« [13], in der er die »Ideologie der Moderne«, die in der »Kunst-als-Abbildung« besteht, als einen »subversiven kreativen Akt« [14] negiert. Wenn nun die Bedeutungen einer Kunstfotografie solchermaßen von ihrer sprachlich-kulturellen Konnotation abhängig sind, handelt es sich nach Roland Barthes eindeutig nicht um eine indexikalische Zeichenbedeutung, da eine solche nur die Denotation der Fotografie betrifft. [15] Man kann soweit gehen, Ruschas Fotoserien in den frühen Büchern als Zurückweisung eines punctums der einzelnen Fotografien zu betrachten.

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Zu seiner Duchamp-Rezeption äußert Ed Ruscha später im Buch »The Duchamp-Effect«: »I feel that the spirit of his [Duchamp’s] work is stronger in my books than in anything else. But I don’t use him as a reference; he’s just so much part of my history and my art – as he is for many artists.«  [16] Dieses Zitat Ruschas spricht also gegen seinen expliziten künstlerischen Bezug auf Duchamp. Ruschas folgende Antwort auf die Frage, was Duchamps wichtigster Beitrag sei, lässt sich allerdings auf seine Intention beziehen, neutrale Abbildungen von Objekten wie Readymades einzusetzen – dabei wird vernachlässigt, ob Ruscha sich auf die Readymades als Ausstellungsobjekte oder auf ihre Abbildung bezog: »That he discovered common objects and showed you could make art out of them.«  [17] Dies erfolgte in den von Ruscha isoliert fotografierten Alltagsobjekten  [18] – wie eine Packung Seife oder Rosinen (z.B. Product still life, Raisins, 1961) –, die keine besondere Bedeutung für ihn hatten, sondern zunächst aus einem eher unbestimmten Grund gesammelt wurden.  [19] Deren Produktgestaltung reflektierte sich oft in Elementen seiner typografisch beeinflussten Gemälde, die auf sein bestimmtes Interesse schließen lassen, eine faktische Wiedergabe anzustreben.  [20] Welche Ähnlichkeit besteht nun zwischen dem künstlerischen Akt – ein Alltagsobjekt zu einem Readymade und somit zu einem Kunstwerk zu erklären – und dem künstlerisch fototechnischen Akt – ein Alltagsobjekt zu fotografieren und es in einem zweiten künstlerischen Prozess fragmenthaft in ein Buch oder ein Gemälde zu übernehmen? Beide Verfahrensweisen sind kulturell erheblich unterschiedlich konnotiert. Die Beziehung von Readymade und Schnappschuss erscheint für Ruschas Fotografien somit fraglich. In ihrer Argumentation verweist Rowell auf eine mittlerweile kanonische Fotointerpretation von Rosalind Krauss, die einen direkten Zusammenhang zwischen Roland Barthes’ Begriff der Indexikalität der Fotografie und Marcel Duchamps Readymade herstellt.

Barthes’ Index der Fotografie und Duchamps Readymades

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Die amerikanische Kunsttheoretikerin Rosalind Krauss bezog in ihren einflussreichen Texten Anmerkungen zum Index I. (1976) und Anmerkungen zum Index II. (1977) die Readymades von Marcel Duchamp auf die Fotografie, nachdem sie eben jene auch von Rowell angeführte Duchamp-Notiz zitiert: »Die Parallele von Ready-made und Fotografie ergibt sich aus seinem Herstellungsprozess. Es geht dabei um die physische Transposition eines Gegenstands aus dem Kontinuum der Realität in den fixierten Zustand eines Kunst-Gebildes [im Original: »art-image«] durch einen Moment der Isolation oder Selektion.«  [21] Diese ebenso eigentümliche wie einflussreiche Behauptung zieht Krauss aus Walter Benjamins Untersuchung, wie ein Textkontext die Bedeutung von Fotografien steuern kann; doch führt dies bei Krauss zu dem Kurzschluss: »Die Fotografie leitet eine Unterbrechung in der Autonomie des Zeichens ein. Eine Bedeutungslosigkeit umgibt sie, die nur durch das Hinzufügen eines Texts ausgefüllt werden kann.«  [22] Aus der Untersuchung des Fotografie-Text-Verhältnisses bei Benjamin wird bei Krauss eine »Bedeutungslosigkeit« der einzelnen Fotografie.  [23] Krauss fährt fort, das künstlerische Bild auf Roman Jakobsons linguistischen Zeichenbegriff des »Shifters« zu beziehen, der als »von Natur aus ›leer‹« charakterisiert wird, weil er seine Bedeutung wie beispielsweise ein Personalpronomen nach dem jeweiligen Subjekt des Gebrauchs ausrichtet; dann kommt Krauss unvermittelt auf die »bedeutungslose Bedeutung« der »Struktur des Index«.  [24] Diese gilt allerdings nur, wenn im Sinne einer idealisierten Autonomie der Fotografie  [25] sowie der Kunst eine völlige Loslösung der Zeichenbedeutung aus ihrem kulturellen Beziehungssystem angenommen wird.  [26] Es entsteht hier eine paradoxe Struktur des fotografischen Zeichens: Es wird zu einer essentiell leeren Bedeutung im Sinne eines Denotats stilisiert, die nur deshalb vorgestellt werden kann, weil das Zeichen von allen Referenzen gekappt wird. Eben diese Idealisierung ruft jedoch ein zweifaches Missverständnis von Barthes’ Leseweise des fotografischen Zeichens hervor.

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Barthes’ Denotat ist einerseits als erkenntnistheoretische Konstruktion zum Verständnis der Fotografie rein synthetisch, und andererseits selbstreflexiv als ein »semioklastischer Versuch«  [27] zu verstehen, die Signifikation, die symbolische Ordnung und damit die eigene linguistische Disziplin innerhalb des eurozentrischen Erkenntnissystems zu stören. Die Wiederholung von Barthes’ selbstkritisch semiologischer Geste mit der wörtlichen Assoziation von kinetisch-skulpturalem und physikalischem Lichtabdruck in der Fotografie bedeutet ein eigentümliches Missreading durch Krauss, da Barthes’ erste denotative Ebene und zweite konnotative Ebene vermischt werden. Auch erscheint der gesamte Gedankengang fraglich, denn die Behauptung, dass das immaterielle Licht einen materiellen Abdruck hinterlasse, scheint auf einem physikalischen Missverständnis zu basieren. Ich schlage vor, den fotochemischen Prozess genauso als eine mediale Transformation zu betrachten wie eine Darstellung auf dem Radarschirm, wobei jeweils die spezifischen technischen Unterschiede für das Bild und seine Rezeption eine große Rolle spielen.  [28]

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Als Beispiel dient Krauss das Rayo- oder Fotogramm bei Man Ray, in dessen Folge sie ganz allgemein jede Fotografie als physischen Abdruck bezeichnet und darin auch konsequent die zeichentheoretische Differenz zu den meisten Malereiformen definiert. [29] Dies bildet für sie die theoretische Basis, um Marcel Duchamp als den ersten Künstler zu markieren, der diese Beziehung in die Kunst eingeführt hat.  [30] Jenseits der problematischen Heroisierung, die eine solche Historisierung bedeutet, bezeichnet Krauss Duchamps Bild Tu m’ als ein »Panorama des Index« [31], weil er hier die Schattenwürfe seiner eigenen zuvor ausgeführten Readymades prospektiert. Eine im unteren Bereich gemalte Hand, die nach rechts zeigt, dient Krauss als eindeutiger Hinweis auf eine hier vorliegende Shifter-Funktion. Interessanterweise findet eine gleich neben der Hand aus dem Bild ragende Bürste keine Erwähnung, die das Gemälde zu einer Assemblage macht und auch als typisch Duchampscher Humor verstanden werden kann. Wenn hier in Krauss’ Argumentation auch der Widerspruch auftritt, dass es sich bei Tu m’ – im Gegensatz zu ihrer Darstellung als Fotografie – um eine Assemblage handelt, und sie sich somit in ihrer eigenen Argumentation widerspricht – denn ein Gemälde ist kein Index-Zeichen –, basiert darauf trotzdem ihre indexikalische Readymade-Fotografie-Relation. Eine Assemblage zeichnet sich jedoch als Mischform aus Gemälde und Readymade gerade durch den allegorischen Witz des Sowohl-als-auch und des Weder-noch aus: ikonisches Bild, materielles Alltagsobjekt und symbolisches Kunstwerk.

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Für Kraus stellen die von ihr aufgeführten Arbeiten Duchamps zwischen Malerei, Fotografie, Performance und Skulptur einen absoluten Bruch mit der Stilgeschichte der Kunst dar. Es lässt sich zwar nachvollziehen, dass Duchamp eine Überwindung der bekannten künstlerischen Stilkonventionen der Einzeldisziplinen anstrebte, doch erscheint Krauss’ Text theoretisch reduktionistisch, wenn sie die spezifischen Verfahrensweisen Duchamps allein auf die Funktion des Index fixiert. Außerdem bezieht sich Duchamps Strategie vor allem auf den Code der Kunst, der in der Lage ist, die Verschiebung eines Alltagsgegenstands zu einem Kunstobjekt zu legitimieren. In der verstärkten Rezeption von Duchamps Praxis durch die Konzeptkunst und Conceptual art in den 1960er Jahren entstand daraus ein spezifischer Diskurs über die Institution der Kunst, die den kulturellen Code hervorbringt und der die Konnotation der Fotografie mitsteuert.

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Mit Verweis auf Roland Barthes’ Text Rhetorik des Bildes  [32] wiederholt Krauss im zweiten Teil der Anmerkungen zum Index II. noch einmal den Mythos der dokumentarischen Leistung der Fotografie  [33] schlechthin.  [34] Kraus betrachtet hier mit Barthes das Denotat der Fotografie essentiell – indem eine »Absenz des Codes«  [35] angenommen wird –, das heißt als eine »mechanische Denotation« des »Hier-gewesen-sein des Abgebildeten«  [36] , die ohne sprachlichen Einfluss (Konnotationen der Kultur) vorgestellt wird. Barthes nennt dies den »natürlichen Nichtcode«  [37] der Fotografie und bezeichnet dies selbst als »fotografisches Paradox«.  [38] Für diesen Gedankengang legt Barthes eine spezifisch subjektive Lektüre weniger ausgewählter Fotografien vor, für die er in einem Idealfall einerseits alles ausschließt, was seinen Gedankengang stören könnte, und andererseits durchaus aber bereit ist, damit gewisse Missverständnisse in seiner Rezeption zuzulassen. – Victor Burgin erinnert in seiner Lektüre der Hellen Kammer daran, dass Barthes sich selbst nur die beiden Möglichkeiten zuschrieb, entweder als »Egoist« oder als »semiologischer Terrorist«  [39] tätig zu sein.

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Da Barthes die fototechnischen Mittel dem Bereich der Konnotation zurechnet, fühlt sich Krauss berechtigt, dies auch auf die Kunstfotografie anzuwenden, die sie mit Duchamp von der Stiltradition der Kunst separiert wissen möchte, obwohl alle ihre Fotobeispiele aus der Kunst stammen. Nur durch Krauss’ eigenartige Reduktion – die fototechnischen Mittel gelten als Konnotation und die Kunstfotografie nicht als Kunst, doch ihre Beispiele stammen aus der Kunstfotografie – kann Krauss das fotografische Zeichenverhältnis generell als indexikalisch auffassen. Ihre Lektüre führt zu dem bis heute weitreichenden Missverständnis, dass dies für jede Fotografie und somit für jede künstlerische Fotografie ebenfalls gelte. Der auf die Linguistik und auf Lacans Psychoanalyse fundierte Ansatz von Krauss motivierte in ihrem historischen Kontext eine umfassende und berechtigte Kritik nicht nur an Clement Greenberg und seinem in den USA der damaligen Zeit dominanten Modernismus-Begriff, sondern formulierte auch einen wichtigen fototheoretischen Diskurs. Bezogen auf spätere Fotografiestrategien, für die gerade die kulturellen Codierungen als Differenzproduktion dienen, erscheint Krauss’ Ansatz jedoch problematisch. Beispielsweise zeigte die Appropriation art, der Krauss als Theoretikerin mit zum Erfolg verhalf, dass in dem Moment, als die Fotografie in der Kunstinstitution akzeptiert wurde, sich mit der künstlerischen Fotografie das kulturelle Beziehungssystem erweiterte. Man muss hier betonen: Ohne den Code der Institution Kunst würde diese Fotografie gar nicht existieren – das gilt besonders für die frühen amateurparodistischen Künstlerfotografien Ruschas.

Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Dokumentierten zu sprechen

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Nun zurück zur Eingangsfrage, ob sich Ruschas Schnappschüsse auf Duchamps Readymades beziehen lassen: Da die Kunst es selbst zu ihrer eigenen Bedingung gemacht hat, als ein institutionalisiertes Codesystem zu bestehen, muss man davon ausgehen, dass keine künstlerische Präsentation ohne Code existieren kann. Dies zeigte Duchamp mit seinem Readymade: Wenn ein Gebrauchsgegenstand in die Institution Kunst eingeführt wird, verliert er seinen Gebrauchswert und erhält einen künstlerischen bzw. einen symbolischen Wert, weil er von seinem Alltagsgebrauch isoliert ist. Deshalb wird die Realität dieses Objekts mittels symbolischer Ordnung erheblich verändert. Wenn es Duchamp – wie er selbst äußerte – beim Flaschentrockner vor allem um das poetische Spiel der Schatten auf der Wand ging, dann erhalten diese Objekte einen sekundären Status gegenüber ihren visuellen Erscheinungen in der Ausstellung.

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Es ergeben sich in diesem Zusammenhang also eine ganze Reihe von notwenigen theoretischen Revisionen: Da man Fotografien nur sehr bedingt als ein »Zeichen ohne Code« auffassen kann und ihre visuellen Leistungen in einem spezifischen Verhältnis von Einsatz technischer Mittel, Medium, institutioneller Repräsentation und Rezeptionsinteresse hervorgebracht werden, noch das Readymade ohne den Code der Institution Kunst existiert, stellen sich die Prämissen für den Vergleich mit Ruschas Fotografien als problematisch heraus.

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In den unterschiedlichen Anwendungen der Fotografie geht es medienspezifisch um technische Innovation oder gerade um ihre strategische Zurückweisung; zum Beispiel verweigert sich der Fotograf Wolfgang Tilmans mit einer künstlerischen Argumentation der digitalen Fotografie. Da ein dokumentarischer Abdruck der Wirklichkeit mittels Fotografie so einfach erschien, wurden in der Geschichte der journalistischen Fotografie immer wieder Kriterien wie das »Nahe-dran-Sein« (Robert Capa) oder der »entscheidende Augenblick« (Henri Cartier-Bresson) eingeführt, um einen Distinktionsgewinn für die jeweilige fotografische Methode zu erzielen. Mit der immer konnotiert erscheinenden Pressefotografie  [40] vergleichbar, sucht die Kunstfotografie meist je nach Erscheinungskontext eine adäquate Präsentationsweise – wie Ruschas Bücher zeigen –, weshalb sich auch ihre Zeichenfunktion relational zur Lektüre verändern kann.

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In der historischen Formation der Linguistik bei Charles Sanders Peirce und Ferdinand de Saussure wird das Zeichen als Ikon, Symbol und Index konzipiert, was für Barthes’ grundlegende Untersuchungen der Fotografie das Werkzeug bereitstellte. Krauss verbindet dies in ihrer retrospektiven Lektüre mit der Psychoanalyse und dem einschneidenden Ereignis von Duchamps Readymade. Es erscheint wichtig, diese Überlegungen nicht einer gegenwärtigen Abschaffung linguistischer Erkenntnisse zu assoziieren, sondern als dekonstruktive Auseinandersetzung mit ihrer zum Teil euphorischen Rezeption und unkritischen Applikation auf die Fototheorie zu verstehen. Als Zeichentheorie für die zeitgenössische Kunstfotografie erweist sich der von Roland Barthes konstruierte »natürliche Nichtcode«  [41] als missverständlich, weil sich die Index-Theorie nicht als analytisches Theorem einsetzen und schon gar nicht für jede aktuelle Kunstfotografie verallgemeinern lässt. Darin besteht Barthes’ Herausforderung: Sie muss als genealogische Fragestellung immer wieder neu formuliert werden.

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Ein wichtiger Ansatzpunkt für eine dekonstruktivistische Lektüre der indexikalischen Fotografietheorie ist der Begriff des Referenten, wie er von Roland Barthes eingesetzt wurde: »›Fotografischen Referenten‹ nenne ich die möglicherweise reale Sache, die vor dem Objektiv plaziert war und ohne die es keine Fotografie gäbe«. Der Referent wird zur Bedingung von Barthes’ Modell: »Worauf ich mich in einer Fotografie intentional richte […], ist weder die Kunst noch die Kommunikation, sondern die Referenz, die das Grundprinzip der Fotografie darstellt. Der Name des Noemas der Fotografie sei also: ›Es-ist-so-gewesen‹ oder auch: das Unveränderliche.«  [42] Genau hiermit markiert Barthes den fotografischen Bruch mit dem traditionellen Repräsentationssystem  [43] in der scheinbar rezeptiven Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Anwesenheit.

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Mit Bezug auf Barthes’ Insistieren auf dem »natürlichen Nichtcode« setzt Jacques Derrida genau an dieser Stelle an: »Die Fotografie scheint mit einem Wort zu sagen und sich diktieren zu lassen: Dies hat stattgefunden und nur einmal stattgefunden. […] Die Referenz bzw. der Referent scheint hier unauslöschlich.«  [44] Jedoch kommt Derrida über die neue digitale Bildtechnik vom Begriff der »Bildaufzeichnung« zur »Bildproduktion« und somit zum Begriff der »fotografischen Performativität«. Er fragt, ob mit der Produktion des Gesichtspunkts nun ein neuer Begriff gefunden werden muss, oder ob diese die »Struktur der alten Technik bereits war«.  [45] Und er fragt weiter: »Kann man nicht sagen, daß es bereits in der Fotografie im klassischen Sinne ebensoviel Produktion wie Aufzeichnung von Bildern, Akt wie Blick, performatives Ereignis wie passive Archivierung gab? Der unverzichtbare Rekurs auf einen bestimmten Typus von Träger (nichtelektronischer Natur: das Papier zum Beispiel) bedeutete nicht eine absolute Passivität in dieser Hinsicht noch eine Aufzeichnung ohne produktive Einschreibung. Ist es notwendig, daran zu erinnern, dass es in der Fotografie alle Arten von Initiativen gibt: nicht allein die Wahl des Ausschnitts, sondern auch des Gesichtspunkts, der Belichtung, der Blende, der Überbelichtung und der Unterbelichtung etc. Diese Eingriffe waren vielleicht vom gleichen Typus wie heute diejenigen einer digitalen Verarbeitung. Auf jeden Fall, in dem Maße, wie sie das Bild produzieren und Bilder konstituieren, modifizieren sie die Referenz selbst, führten sie hierin Vielheit, Teilbarkeit, Ersetzbarkeit, Austauschbarkeit ein.«  [46]

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Somit spricht nicht Barthes’ »Hier-gewesen-sein« aktuell und ungebrochen durch die Fotografie, sondern der Fotograf inszeniert seine Fiktion des Dokumentarischen. Dies tut aber der Dokumentation des Realen keinen Abbruch, denn es betont die jeweils zeitgenössische Rezeption dieser Fiktion des Dokumentarischen. Derrida fordert gar dazu auf, aus der Perspektive der digitalen Verarbeitung »die Referentialität oder die unterstellte Passivität in Bezug auf den Referenten« für die »Epoche der Fotografie« neu zu denken. Jacques Derrida äußerte an anderer Stelle, wie er die Bedingungen für ein zu dokumentierendes »Ereignis« denkt: Dass nämlich ein Ereignis – im Gegensatz zu einem Geschehen – nicht getrennt von seiner medialen Darstellung oder Dokumentation vorstellbar ist.  [47] Daraus lässt sich folgern: Jedes Ereignis impliziert schon seine Dokumentation. Sonst könnten wir es nicht denken. Und insofern jedes Ereignis schon als ein Dokument strukturiert ist, kann es kein eigentlich unverhofftes, das heißt unvorhersehbares Ereignis sein. Das Ereignis ist bereits in seinem Dokumentationssystem codiert.

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Wie die vorgelegte Lektüre von Ruschas Fotografien zeigte, kann seine bewusste Parodie amateurhafter Technik künstlerisch sehr produktiv sein. Mit »Schnappschuss« wird eine Amateuraufnahme bezeichnet. Bei den Fotografien von Ruscha handelt es sich jedoch um mit künstlerischer Absicht fotografierte Objekte, die durch ihre Reihung anlässlich ihrer Publikation eine eigene Erzählung früher conceptual photography motivieren. Diese kritisiert offensichtlich die damalige Rezeption von Fotografie, welche noch nicht als Kunst anerkannt war. Insofern sind die Fotokonzeptualisten als wesentliche Wegbereiter für die Etablierung einer Kunstfotografie zu betrachten.  [48] Indem Ruschas Fotografien dies zum Thema haben, akzeptieren sie diesen historisch-theoretischen Rahmen als institutionelle Bedingung. Auch stehen sie mit dieser Strategie in grundsätzlicher Differenz zu den typologischen Fotoserien von Bernd und Hilla Becher oder zu Hans-Peter Feldmanns Bildreihen und Fotobüchern. Letztlich stellt Ruschas Vorgehensweise eine erkenntnistheoretische Grundlage für die in den späten 70er Jahren aufkommende Appropriation art dar, in der die Selektion eines anzueignenden Objekts, eine Reproduktionsstrategie, eine aneignende wiederholende Kunstgeste sowie der darüber geführte Diskurs den authentischen Objektstatus der Fotografie als Abbildung eines Objekts der Wirklichkeit relativierte.  [49] Welche politischen Konsequenzen dieser Diskurs über die Zeichentheorie auf die Institution Kunst hat, sollte vor allem dahingehend verfolgt werden, wie die gegenwärtig veränderten Distributions-, Produktions- und Einschreibungsformen der künstlerischen Bilder ihren Einflussbereich über den selbstreferentiell eingefrorenen Institutionsbegriff hinaus vergrößern können.



[1] Dieser Text geht zurück auf einen Vortrag bei der Konferenz: Ed Ruschas Werk zwischen Fotografie und dem Fotografischen, Museum Ludwig, Köln, 3.9.2006, erstmals publiziert in: frame #2, Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Photographie, hg. v. Kerstin Stremmel, Göttingen 2008, S. 61-74.

[2] Hier lässt sich anthropologisch fragen, ob eine neue Form von Introspektion entsteht oder ob die »Autokultur […] die Introspektion hinter sich« lässt; vgl. John Miller: Das Mnemonische Buch. Ed Ruschas vergängliche Publikationen, in: ders.: When down is up. Ausgewählte Schriften 1987-1999, Stuttgart/Frankfurt a. M. 2001, S. 55-63, hier S. 60.

[3] Vgl. Phyllis Rosenzweig: Ed Ruschas Künstlerbücher, in: Ed Ruscha, Ausst.kat. Kunstmuseum Wolfsburg, hg. v. Neal Benezra/Kerry Brougher, Zürich/Berlin/New York 2002, S. 178-188, hier S. 180 f.

[4] Jeff Wall: Zeichen der Indifferenz. Aspekte der Fotografie in der, oder als, Konzeptkunst, in: ders.: Szenarien im Bildraum der Wirklichkeit. Essays und Interviews, hg. v. Gregor Stemmrich, Amsterdam/Dresden 1997, S. 375-434, hier S. 430.

[5] Wall 1997 (wie Anm. 4), S. 429.

[6] Spätestens ab dem Buch Royal Road Test (1967) setzt Ruscha narrative Elemente ein.

[7] Vgl. den Begriff des »self-assignement« bei Margit Rowell: Ed Ruscha, Photographer, Ausst.kat. Galerie Nationale du Jeu de Paume, Paris, Kunsthaus Zürich, u. Museum Ludwig, Köln, hg. v. Whitney Museum of American Art, Göttingen/New York 2006, S. 21.

[8] Anstatt von einem »theme« ziehe ich es vor von einer visuellen Formation zu sprechen; vgl. Rowell 2006 (wie Anm. 7), S. 20.

[9] Vgl. Wall 1997 (wie Anm. 4), S. 430.

[10] Die Argumentation Wolfs in diesem Kapitel beruht vor allem auf der Aussage: »Ruscha’s thinking of his photographs as readymades––useful information rather than autonomous objects––points to how far he had ventured from the world of narrative suggestion that he admired in the work of Walker Evans and Robert Frank.« Sylvia Wolf: The Photograph as Readymade, in: dies.: Ed Ruscha and Photography, Whitney Museum of American Art, Göttingen/New York 2004, S. 112-127, hier S. 127.

[11] John Coplans: Concerning Various Small Fires, in: Artforum, Sept. 1965, S. 25.

[12] Margit Rowell: Ed Ruscha, Photographer, deutschsprachiges Beiheft anlässlich der Ausstellungen »Ed Ruscha, Photographer« im Kunsthaus Zürich und Museum Ludwig, Köln, Göttingen/New York 2006, S. 11. In der englischen Version klingt es noch eindeutiger: »Duchamp, in his notes for The Large Glass, published in English in 1960, describes the readymade as the capturing moment, similar to the taking of a snapshot.« Rowell 2006 (wie Anm. 7), S. 16.

[13] Wall 1997 (wie Anm. 4), S. 429 f.

[14] Wall 1997 (wie Anm. 4), S. 432.

[15] »Da die Fotografie als mechanisches Analogon des Wirklichen auftritt, füllt die erste Botschaft gewissermaßen vollständig ihre Substanz aus und lässt keinerlei Raum für die Entfaltung einer zweiten Botschaft. Im Grunde wäre unter allen Informationsstrukturen die Fotografie als einzige ausschließlich von einer ›denotierten‹ Botschaft konstituiert und besetzt, die sie vollständig bestimmte; angesichts einer Fotografie ist das Gefühl der ›Denotation‹ oder, wenn man lieber will, der analogischen Fülle so stark, dass die Beschreibung einer Fotografie genau genommen unmöglich ist; denn das Beschreiben besteht gerade darin, der denotierten Botschaft ein Relais oder eine zweite Botschaft hinzuzufügen, die dem Code der Sprache entnommen ist und, so sehr man auch um Genauigkeit bemüht ist, zwangsläufig eine Konnotation in Bezug auf das fotografische Analogon bildet: Beschreiben heißt also nicht bloß ungenau oder unvollständig sein, sondern die Struktur wechseln, etwas anderes bedeuten als das Gezeigte.
Dieser rein ›denotierende‹ Status der Fotografie, die Perfektion und die Fülle ihrer Analogie, kurz, ihre ›Objektivität‹, all das könnte durchaus mythisch sein (das sind die Kennzeichen, die der gesunde Menschenverstand der Fotografie zuschreibt): Denn in Wirklichkeit besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die fotografische Botschaft (zumindest die Botschaft der Presse) ebenfalls konnotiert ist. Die Konnotation lässt sich nicht unbedingt sofort auf der Ebene der Botschaft selbst erfassen […].« Roland Barthes: Die Fotografie als Botschaft, in: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt a. M. 1990, S. 11-27, hier S. 14.

[16] Interview with Ed Ruscha by Elizabeth Armstrong, in: The Duchamp Effect. Essays, Interviews, Round Table, An October Book, hg. v. Martha Buskirk/Mignon Nixon, Boston 1996, S. 55.

[17] Interview with Ed Ruscha 1996 (wie Anm. 16), S. 56.

[18] Vgl. die products’ series als ›found objects‹ bei: Rowell 2006 (wie Anm. 7), S. 15.

[19] Vgl. Nostalgia and New Editions. A Conversation with Ed Ruscha by Sylvia Wolf, in: Wolf 2004 (wie Anm. 10), S. 263.

[20] Vgl. das Zitat bei Rowell 2006 (wie Anm. 7), S. 24.

[21] Rosalind E. Krauss: Anmerkungen zum Index: Teil 1 (1976), in: dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, hg. v. Herta Wolf, Amsterdam/Dresden 2000, S. 249-264, hier S. 260.

[22] Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 259.

[23] Demgegenüber eine gegenseitige Beeinflussung bei: Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen 1983, S. 11.

[24] »Und in diesem Prozeß erinnert es [das »Kunst-Gebilde«, engl. »art-image«] auch an die Funktion des Shifters. Es ist ein Zeichen, das von Natur aus ›leer‹ ist, seine Bedeutung ist eine Funktion nur dieses einen Beispiels, verbürgt durch die existenzielle Präsenz genau dieses Gegenstands. Was mit der Struktur des Index eingeführt wird, ist die bedeutungslose Bedeutung.« Flusser 1983 (wie Anm. 23), S. 11.

[25] Vgl. Barthes 1990 (wie Anm. 15), S. 11.

[26] »[…] der Shifter ist der Fall eines sprachlichen Zeichens, das sowohl etwas vom Symbol hat als auch Züge von etwas anderem aufweist. Teil des symbolischen Codes der Sprache sind die Pronomen insofern, als sie willkürlich sind […]. Insofern jedoch ihre Bedeutung von der existentiellen Präsenz eines bestimmten Sprechers abhängt, gehören die Pronomen (wie übrigens auch die anderen Shifter) aber deutlich einem anderen Zeichentyp an: dem Zeichentyp, den wir als Index bezeichnen. Im Unterschied zu Symbolen stellen Indizes ihre Bedeutung aufgrund einer physischen Beziehung zu ihrem Referenten her. Sie sind Markierungen oder Spuren einer besonderen Ursache, und diese Ursache ist das Ding, auf das sie sich beziehen, der Gegenstand, den sie bezeichnen. Unter die Kategorie des Index würden wir physische Spuren (wie Fußabdrücke), medizinische Symptome oder die tatsächlichen Referenten der Shifter fassen.« Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 251.

[27] Herta Wolf: Das, was ich sehe, ist gewesen. Zu Roland Barthes Die helle Kammer, in: Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, hg. v. ders., Bd. 1, Frankfurt a. M. 2002, S. 89-107, hier S. 102 f.

[28] Es soll hier keineswegs in die pauschale diskursive Polemik eingestimmt werden, mit der etwa Peter Lunenfeld das »revolutionäre Lager« der Semiologie für obsolet erklärt; Peter Lunenfeld: Digitale Fotografie. Das dubitative Bild, in: Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, hg. v. Herta Wolf, Bd. 1, Frankfurt a. M. 2002, S. 158-177, hier S. 164. Aber bereits Flusser hat für die Fotografie eine pragmatische Aufwertung der Rezeption für »konnotative Symbolkomplexe« der Bilder beobachtet; Flusser 1983 (wie Anm. 23), S. 9.

[29] »Aber das Fotogramm verstärkt oder verdeutlicht nur, was für jede Fotografie gilt. Jede Fotografie ist das Ergebnis eines physikalischen Abdrucks, der durch Lichtreflexion auf eine lichtempfindliche Oberfläche übertragen wird. Die Fotografie ist also eine Form des Ikons, d. h. einer visuellen Ähnlichkeit, die eine indexikalische Beziehung zu ihrem Gegenstand hat. Ihr Unterschied zum echten Ikon wird in der Absolutheit dieser physikalischen Genese erfahrbar; sie scheint die Prozesse der Schematisierung oder symbolischen Interpretation, welche in den grafischen Darstellungen der meisten Gemälde wirksam sind, kurz- oder auszuschließen. Wenn in der Malerei durch das menschliche Bewusstsein, das hinter den Formen der Darstellung am Werk ist und eine Verbindung zwischen den Gegenständen und ihrer Bedeutung schafft, das Symbolische eindringen kann, so kann es das in der Fotografie nicht. Ihr Vermögen besteht darin, dass sie ein Index ist, und ihre Bedeutung liegt in jenen Modi der Identifikation, die mit dem Imaginären zusammenhängen.« Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 256 f.

[30] »Denn wie wir sehen werden, hat Duchamp als erster die Verbindung zwischen dem Index (als Zeichentyp) und der Fotografie hergestellt.« Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 253.

[31] Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 252.

[32] In dem es ihrer Meinung nach um die fotospezifische Tautologie des Signifikats und des Signifikanten geht; vgl. Krauss 2000 (wie Anm. 21), S. 267.

[33] Vgl. Barthes’ Aussage, dass man die »Objektivität« der Fotografie als »mythische« bezeichnen könnte (S. 14), und seine Äußerungen über das »mythische Denotat« der Fotografie; Barthes 1990 (wie Anm. 15), S. 26.

[34] »Auf der Filmemulsion und später auf dem Abzug drückt sich die Ordnung der natürlichen Welt ab. Diese Eigenschaft der Übertragung oder der Spur verleiht der Fotografie ihren dokumentarischen Status, ihre unbestreitbare Wirklichkeitstreue. Aber zur gleichen Zeit entzieht sich diese Wirklichkeitstreue dem Zugriff jener möglichen inneren Anpassungen, die ein notwendiges Merkmal der Sprache sind. Das Bindegewebe, das die von der Fotografie festgehaltenen Gegenstände zusammenhält, ist eher das der Welt selbst als das eines kulturellen Systems.« Rosalind E. Krauss: Anmerkungen zum Index: Teil 2 (1977), in: dies.: Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, hg. v. Herta Wolf, Amsterdam/Dresden 2000, S. 265-276, hier S. 267.

[35] Vgl. Herta Wolf 2002 (wie Anm. 27), S. 94 f.

[36] Vgl. Herta Wolf 2002 (wie Anm. 27), S. 95.

[37] Vgl. Roland Barthes: Rhetorik des Bildes, in: ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt a. M. 1990, S. 28-46, hier S. 39.

[38] »Das fotografische Paradox wäre dann die Koexistenz von zwei Botschaften, einer ohne Code (das wäre das fotografische Analogon) und einer mit Code (das wäre die ›Kunst‹ oder die Bearbeitung oder die ›Schreibweise‹ oder die Rhetorik der Fotografie); struktural gesehen, beruht das Paradox natürlich nicht auf dem Zusammenspiel einer denotierten und einer konnotierten Botschaft: Das ist der wahrscheinlich fatale Status jeder Massenbotschaft: dass sich die konnotierte (oder codierte) Botschaft hier ausgehend von einer Botschaft ohne Code entfaltet.« Barthes 1990 (wie Anm. 15), S. 15.

[39] Vgl. Victor Burgin: Beim Wiederlesen der Hellen Kammer (1982), in: Theorie der Fotografie IV, 1980-1995, hg. v. Hubertus von Amelunxen, München 2000, S. 24-48, hier S. 42 f.

[40] Vgl. Barthes 1990 (wie Anm. 15), S. 14 f.

[41] Barthes 1990 (wie Anm. 37), S. 39.

[42] Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie (1980), Frankfurt a. M. 1989, S. 86 f.

[43] Vgl. Herta Wolf 2002 (wie Anm. 27), S. 95.

[44] Jacques Derrida: Die Fotografie als Kopie, Archiv und Signatur. Im Gespräch mit Hubertus von Amelunxen und Michael Wetzel (1992), in: Theorie der Fotografie IV, 1980-1995, hg. v. Hubertus von Amelunxen, München 2000, S. 280-296, hier S. 281.

[45] Derrida 2000 (wie Anm. 44), S. 282.

[46] Derrida 2000 (wie Anm. 44), S. 282 f.

[47] Vgl. zum Begriff des Ereignisses Jacques Derrida: Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, vom Ereignis zu sprechen (2001), Berlin 2003, S. 20-22, 24 und 36.

[48] Vgl. Wall 1997 (wie Anm. 4), S. 391.

[49] Vgl. Stefan Römer: Künstlerische Strategien des Fake – Kritik von Original und Fälschung, Köln 2001.

Lizenz

Jedermann darf dieses Werk unter den Bedingungen der Digital Peer Publishing Lizenz elektronisch über­mitteln und zum Download bereit­stellen. Der Lizenztext ist im Internet abrufbar unter der Adresse http://www.dipp.nrw.de/lizenzen/dppl/dppl/DPPL_v2_de_06-2004.html

Empfohlene Zitierweise

Römer S.: Rethinking the Index. Einige Bemerkungen zur Rezeption von Ed Ruschas Fotoarbeiten in Relation zum fotografischen Index-Begriff. Kunstgeschichte. Texte zur Diskussion, 2008-8 (urn:nbn:de:0009-23-16899).  

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Kommentare

  1. Prange, Regine | 24.08.2009

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